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Die Wanderhure

Titel: Die Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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machte es ihr nichts aus, dass die anderen Frauen über sie herzogen. Einige der Gauklerinnen, deren Moral locker genug war, um sich für ein paar Pfennige jedem Lümmel hinzugeben, sahen in ihr eine unliebsame Konkurrenz, und die anderen fürchteten, ihre Männer und Söhne könnten der Versuchung erliegen und das wenige Geld, das siebesaßen, zu ihr hintragen. Dabei würde kaum einer der Gaukler ihre Dienste bezahlen, sondern von ihr erwarten, dass sie ihnen die Schenkel zum Dank dafür öffnete, dass man sie mitgenommen hatte.
    Hiltrud sah die fette Frau des Prinzipals inmitten ihrer Kinderschar dahinwatscheln und fragte sich spöttisch, was diese wohl sagen würde, wenn sie wüsste, dass ihr Mann schon am letzten Abend den Preis für seinen Schutz eingefordert hatte. Hiltrud hatte es nicht einmal ungern getan, denn Jossi war ein rücksichtsvoller Liebhaber, anders als die meisten Kerle, die in ihr Zelt kamen.
    Plötzlich blieb der älteste Sohn des Patrons stehen und zeigte auf einen Baum. »Da liegt eine tote Frau neben der Straße.«
    Ein alter Mann winkte ab. »Geh weiter und kümmer dich nicht darum. Oder willst du riskieren, dass man dir den Tod des Weibsstücks anhängt oder dich zwingt, es zu begraben?«
    Trotz seiner warnenden Worte blieb der Alte dann selbst neben dem Baum stehen und starrte den leblosen Körper an. Schnell scharte sich die ganze Gruppe um die Buche. Sogar Hiltrud überließ ihre Ziegen sich selbst und trat neugierig näher. Bei der Toten handelte sich um ein junges Mädchen, das einen Schandkittel trug und übel zugerichtet worden war.
    »Die wird bald anfangen zu stinken«, spottete einer der Gaukler. In dem Augenblick sah Hiltrud, wie sich die Lippen des Mädchens leicht bewegten, und schüttelte den Kopf. »Sie ist noch nicht tot.«
    Während die Gaukler sie zweifelnd ansahen, beugte Hiltrud sich über die reglose Gestalt. Das Mädchen war außergewöhnlich hübsch, das war trotz der Schmutzschicht auf dem verzerrten Gesicht zu erkennen. Der gelbe Kittel deutete darauf hin, dass sie aus einer der nahe gelegenen Städte vertrieben worden war. Da der Stoff auf ihrem Rücken von Blut rot gefärbt war und, wie Hiltrud durch kurzes Zupfen feststellte, fest auf derHaut klebte, musste die Kleine ungewöhnlich hart ausgepeitscht worden sein. Die Dämonenfratzen auf dem Kittel verrieten, dass sie wegen Hurerei verurteilt worden war. Aber sie musste noch mehr angestellt haben, denn Unzucht allein wurde nicht so hart bestraft.
    Im Allgemeinen achtete man in den Städten kaum auf den Lebenswandel von Mägden und Frauen niederen Standes. Wenn sie es zu wild trieben, wurden sie kurzerhand in den Schandkittel gesteckt und fortgejagt. Aber man schlug sie nicht halb tot. Hiltrud sah sich die Hände des Mädchens an und kratzte sich dann am Kopf. So glatte, zarte Finger gehörten nicht zu einer Magd oder Tagelöhnerin. Die Kleine musste die Tochter eines wohlhabenden Bürgers oder gar eines Adligen sein. Das machte die Sache noch rätselhafter, denn die reichen Familien verheirateten ihre Töchter, wenn sie gefehlt hatten, gewöhnlich rasch mit einem willigen Gefolgsmann oder steckten sie in ein Kloster.
    Das Geheimnis reizte Hiltrud. Sie fragte sich, ob sich der Sohn eines mächtigen Feudalherrn in ein unstandesgemäßes Mädchen verliebt hatte und sein Vater die harte Strafe befohlen hatte, um eine Heirat zu verhindern. Sie verwünschte diesen Gedanken sofort wieder, denn sie spürte, dass sie Mitleid mit der Kleinen bekam.
    »Wenn sie noch nicht tot ist, wird sie bald sterben. Wir können nichts für sie tun.« Der Prinzipal wandte sich achselzuckend ab und stieg wieder auf den Bock seines Wagens. Auch die anderen Gaukler wollten weiterziehen. Hiltrud blieb unschlüssig stehen. Eigentlich ging das Mädchen sie ja nichts an. Es widerstrebte ihr jedoch, einen Menschen hilflos am Straßenrand zurückzulassen. Ihr war klar, dass sie froh sein musste, selbst genug zu beißen zu haben, und sich nicht noch um jemand anderes kümmern konnte. Aber als der Prinzipal seine Pferde mit einem Zungenschnalzen antrieb, trat Hiltrud ihm in den Weg.
    »Bitte warte noch einen Augenblick, Jossi. Ich will das Mädchen mitnehmen.«
    Der Bärtige schüttelte den Kopf. »Wenn wir trödeln, bekommen wir auf dem Jahrmarkt keinen guten Platz mehr zugewiesen.«
    »Nur ein paar Minuten«, bat Hiltrud.
    »Du kannst ja zurückbleiben, wenn du dich unbedingt um die schmutzige Hure kümmern willst.« Die Frau des Prinzipals

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