Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
versucht er sich loszureißen und Unfrieden zu stiften.«
»Ich danke dem Herrn für jeden Tag, an dem du nicht auf dieses Pferd steigen musst. Matthias, hör mir zu: Ich fürchte, jetzt, wo Wirtho Truchsess wird, werden wir unseres Lebens nicht mehr sicher sein. Es wird uns ergehen wie Luise.«
»Ach, Annelies, dass du keine Ruhe geben möchtest mit dem Herrn. Ich fürchte, eines Tages wird es ihm zu Ohren kommen und wir werden wirklich Schwierigkeiten bekommen.«
»Lass uns fortgehen, Matthias, bitte, bevor es zu spät ist«, bettelte seine Frau.
»Annelies, lass doch erst einmal das Kindchen zur Welt kommen. Dann können wir immer noch überlegen.«
»Hast du vergessen, was in unserer Hochzeitsnacht geschehen ist? Glaubst du wirklich, der neue Truchsess wird dieses Kind dulden? Wo er doch der Meinung ist, wenn überhaupt, dann sollte ich gefälligst sein Kind austragen?«
»Daran denkt er doch schon lange nicht mehr«, versuchte Matthias seine Frau zu beschwichtigen.
»Wie kannst du dir da so sicher sein? Du hast nicht das böse Funkeln in seinen Augen gesehen, als ich ihm heute Morgen auf dem Hof begegnet bin.«
Unwirsch hörte der Knecht auf, Annelies’ Füße zu bearbeiten. »Du solltest ihm doch aus dem Weg gehen«, meinte er streng.
»Das ist leichter gesagt als getan. Wir sind hier nicht auf der Burg des Herzogs. Es lässt sich kaum vermeiden, dass ich als Zofe seiner Frau mit ihm zusammentreffe.«
Der Knecht krabbelte an Annelies’ Seite, nahm sie in den Arm und streichelte ihren Bauch. »Ängstige dich nicht, Liebes! Ich passe schon auf uns auf.«
Annelies schüttelte ihn ab: »Das konntest du in unserer Hochzeitsnacht nicht und wirst es auch in Zukunft nicht können.«
Matthias zuckte zusammen und brummte: »Ich bin des Streitens müde, Frau. Du kennst meinen Standpunkt. Noch gibt es keinen Grund, von hier fortzugehen.«
Kerzengerade richtete sich Annelies auf und sagte: »Wenn du nicht mit mir kommst, so werde ich alleine gehen. Mein Kind wird nicht unfrei geboren.«
*
Obwohl sie todmüde war, wollte der Schlaf nicht über Annelies kommen. Grübelnd lag sie wach. Es war leicht gesagt, dass man sich notfalls auch alleine auf den Weg machen würde, es zu tun war etwas anderes. Im Grunde hatte eine schutzlose Frau so gut wie keine Chance, heil und gesund am Reiseziel anzukommen. Sie war Räubern und anderem Gesindel ohnmächtig ausgeliefert. Es sei denn, sie hatte Geld, um sich Wachknechte zu kaufen. Annelies besaß Geld, aber eigentlich hatte sie es gespart, um sich gemeinsam mit Matthias in Landshut ein neues Leben aufzubauen. Hinzu kam, dass man sie sehr wahrscheinlich suchen würde. Sie konnte sich also nicht einfach irgendwo ein paar Landsknechte mieten. Blieb also nur noch eine Möglichkeit: den Trubel der Besucher nutzen und sich unter die Abreisenden mischen. In einer größeren Reisegesellschaft würde sie nicht so rasch auffallen, und wenn doch, so könnte sie ein Schreiben von Frau Arigund fälschen, das sie nach Regensburg empfahl. Das würde niemanden wundern, stammte die Herrin doch aus der Stadt.
Der Mond stand schon hoch am Himmel, als Annelies’ Entschluss feststand. Gleich morgen würde sie ihn in die Tat umsetzen. Blieb nur noch eine Sache: Sie musste ihr Geld aus dem Versteck holen. Vorsichtig kroch sie unter der Decke hervor, um Matthias nicht zu wecken. Der Mond warf sein bleiches Licht auf seine Gestalt, und die Zofe wischte sich zwei dicke Tränen von den Backen. Sie würde ihren Mann vermissen. So sehr würde er ihr fehlen, aber es galt, für ihre Tochter zu sorgen.
Erst als sie draußen auf dem Hof stand, zog sie sich den wollenen Mantel über. Die Nächte waren noch immer frostig. Wenigstens Frau Luna schien es gut mit ihr zu meinen. Wie eine übergroße Laterne strahlte sie über Burg Brennberg. Annelies öffnete die kleine Seitenpforte. Hier kam nachts nur hin und wieder ein Wachknecht vorbei und warf einen flüchtigen Blick auf das Gatter. Es war ein offenes Geheimnis, dass die Männer es benutzten, wenn sie sich nachts zu den Frauen ins Dorf schlichen. Deshalb achteten sie darauf, dass es stets gut geschmiert und einfach zu öffnen war. Annelies blieb kurz stehen und horchte, doch zu dieser Stunde schien außer ihr niemand mehr unterwegs zu sein.
Geschmeidig huschte sie aus der Pforte und den schmalen Weg hinunter. Sie hatte nicht weit zu gehen. Am Fuß der Burg gab es, hinter dornigem Gebüsch verborgen, ein ausgedehntes Höhlensystem, das früher einmal
Weitere Kostenlose Bücher