Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
nach dem Schwert. Auch die Alte war schon zur Stelle.
Jakob stieg von seinem Graufalben, einem Pferdchen, das zwar klein an Wuchs, aber ungemein zäh und trittsicher war. Arabella funkelte erbost, als Jakob abstieg und Heinrich die Zügel in die Hand drückte. Unwillig stampfte sie mit dem Vorderbein und bleckte die Zähne zu Heinrichs Hengst. Jakob hob mahnend den Zeigefinger, und die Stute senkte verdrossen den Kopf. Fremden gegenüber war sie misstrauisch, doch an Jakob hing die Stute mit besonderer Zutraulichkeit, obwohl er sie nur wenige Monate vor seiner Abreise erworben hatte. Jakob hatte Arabella auf dem monatlichen Rossmarkt entdeckt. Sie stand angebunden neben einem Schweinekoben und kämpfte gegen die rohen Hände eines Rossmetzgers an. Der Bauer schlug ihr grob züchtigend mit einem Knüppel zwischen die Augen, sodass das Blut ihr Gesicht herunterrann.
»Hehe!«, hatte der Junge den Bauern zurechtgewiesen. »Muss das denn sein!« Dann sah er zu dem Stütchen und es zu ihm. Jakob war es vorgekommen, als würde es ihn mit seinen dunkelbraunen Augen um Hilfe anflehen. Von der Seite seines Vaters weichend, trat der Junge näher, um das Pferdchen in Augenschein zu nehmen. Er sah sich einem kleinen, ausgezehrten Pony gegenüber mit verfilztem Winterfell, das nach Schweinemist stank.
»Was geht’s den jungen Herrn an«, keifte der Rossmetzger von der Seite. Vermutlich hätte er den Jungen mit dem Ochsenziemen verjagt, wäre Jakobs Vater nicht dabei gewesen.
»Oder will er das Tier gar kaufen?«, quakte nun der Bauer, ein besseres Geschäft ahnend, als es ihm der Metzger angeboten hätte. »Ein gesundes Tier ist es«, lobte er seine Ware sogleich. »Keine vier Lenze hat’s gesehen. Seht selbst.«
Schon wollte er der Stute ans Maul greifen, doch der Rossmetzger fuhr dazwischen und erklärte: »Doch zum Reiten taugt’s nicht, ist’s doch ein Schelf, ein Wildpferd, das bis vor Kurzem im Wald hauste und keine Menschenhand kennt.«
»Stimmt das?«, forschte nun Jakobs Vater nach.
»Ein Wildfang ist es wohl«, räumte der Bauer zögernd ein.
»Vor wenigen Wochen erst pferchten die Häscher die Herde«, ereiferte sich der Rossmetzger weiter, »trieben sie doch ihr Unwesen in der Gegend, durchbrachen Zäune und stahlen den Bauern das Futter. Der Leithengst gebärdete sich so wild, dass ihn erst die Speere der Jäger bändigen konnten. Sein böses Blut rinnt in ihren Adern. Kein Pferd ist’s für einen jungen Herrn.«
Der Kaufmann nickte und legte seine Hand auf Jakobs Schultern und schob ihn weiter. Doch der duckte sich und war mit zwei Sprüngen zurück bei der Graufalbin.
»Was ein Pferd für mich ist und was nicht, das entscheide immer noch ich!«, rief er trotzig. Er löste den Strick und zog daran. Erstaunlicherweise folgte ihm die Graufalbin willig. Triumphierend blickte er zu seinem Vater, der den Kopf schüttelte und mürrisch meinte: »Wenn du selbst entscheiden kannst, dann bezahle auch selbst.«
So hatte Jakob schließlich sein eigenes Erspartes eingesetzt und die Stute mit nach Hause genommen. Unter seinen Händen hatte sich Arabella zwar nicht gerade in einen edlen Vollblüter verwandelt, aber sie trug ihn so sicher über Feld und Flur wie kein zweites Reittier. Zudem gab es niemanden, der dem Jungen das Tier neidete, was durchaus eine Menge Vorteile brachte.
Die Zügel in der Hand trat Jakob an den Stand der alten Tuchhändlerin und fragte ohne große Begrüßung: »Nun, Mütterchen, was hast du in Erfahrung bringen können?«
Die Alte besah die beiden Männer zunächst einmal mit ihrem zahnlosen Grinsen. »Die Sängerin, nach der Ihr Euch erkundigt habt, junger Herr«, begann sie dann, »stammt nicht von hier. Sie gehört auch nicht zu den Gauklern, die am Weihnachtsmarkt auftreten.«
Jakob sah enttäuscht aus. »Aber ihren Namen hast du herausfinden können?«
Die Marktfrau schüttelte den Kopf.
»So hast du dir deinen Lohn nicht verdienen können. Schade.«
Abrupt drehte sich der Tuchhändlerssohn um.
»Wartet noch, junger Herr!«, hielt ihn die Alte auf. »Ich denke doch. Der Schankwirt weiß von zwei Burschen, die wohl mit ihr unterwegs sind.«
»Was für Burschen?«, fragte nun Heinrich von Meißen. »Wie sahen sie aus?«
Die Frau spuckte aus. »Gesindel, Pack, einer kräftig mit blonden Haaren und schiefer Nase, der andere spindeldürr und halb verhungert, mit den Augen einer Krähe. Sie kamen, um Quartier zu machen. Der Markt war noch nicht vorbei, als der Dürre ihre Sachen
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