Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
wenig verwöhnen. Auch könnt Ihr sicher sein, dass wir fein gearbeitete Instrumente am Hofe haben.«
Seufzend gab Heinrich nach. Die Rettung Arigunds würde warten müssen.
K APITEL 27
Die hastige Flucht hatte Arigunds Kräfte aufgezehrt. Ihre fiebrigen Augen nahmen weder die Schönheit Prags wahr noch das winterliche Gedränge vor den Toren der Stadt. Sie erlebte ihre Ankunft wie durch einen Nebelschleier. Der Marktwächter, der die eintreffenden Karren und ihren Inhalt aufs Sorgfältigste prüfte, musterte die drei misstrauisch. Einlass in die Stadt gewährte er erst, nachdem Vaclav dem Mann unverhohlen zwei Geldstücke zugesteckt hatte, deren Wert seinen Monatssold bei Weitem überstieg. Malá Strana, wie die Einheimischen diese Stadt nannten, war eine junge, moderne Ansiedlung voller Leben. In den Straßen hörte man überwiegend Deutsch, waren doch viele Bewohner vom neuen König aus Norddeutschland angeworben worden. Auf dem Markt dagegen herrschte ein babylonisches Gewirr von Sprachen, was die Händler und Marktfrauen jedoch nicht daran hinderte, gute Geschäfte zu machen. Notfalls benutzten sie ihre Hände und Füße, um sich zu einigen. Vaclav glaubte sich auf dieser Seite der Moldausiedlungen gut auszukennen, hatte er doch seine ersten Lebensjahre hier verbracht, bis sein Vater ihn an einen Rauchfangkehrer verkaufte. Der hatte den schmächtigen Jungen nicht nur durch die engen steinernen Schlunde kriechen lassen und durch täglichen Hunger dafür gesorgt, dass das möglichst lange so blieb, sondern sich auch anderweitig ausgiebig mit ihm vergnügt. Als Vaclav schließlich doch für diese Tätigkeit zu groß geworden war, hatte er ihn zum Teufel gejagt und sich Ersatz gesucht. Trotzdem waren die Erinnerungen an Prag in Vaclav lebendig.
Wie sehr wunderte er sich jetzt, dass ihm zwar manches bekannt vorkam, aber nichts mehr dort stand, wo es nach seiner Erinnerung hätte stehen sollen. Die Kleinseite war eine andere geworden. Gewachsen war sie mit einem Gürtel eilig hochgezogener Behausungen für die Neuankömmlinge. Statt der geduckten Häuschen rahmten schmucke Steinburgen den Markt. Es gab Dinge zu kaufen, von denen er als Bub nicht einmal geträumt hatte. Die Suche nach seinem Elternhaus trieb ihn weiter durch die Gassen, doch wo es einst gestanden haben musste, befanden sich heute die Werkstätten der Gerber. Vaclav fragte Passanten und schließlich einen alten Meister, der seine Gesellen dabei beobachtete, wie sie Rindsleder auf einen Karren luden. Zwar schüttelte der alte Mann genau wie die anderen den Kopf, doch dann ergänzte er: »Die Tschechen wohnen jetzt alle am anderen Moldauufer.«
Vaclav nickte und bedankte sich höflich. Was war nur aus »seinem« Prag geworden? Suchend sah er sich nach einer Bleibe um. Er wagte nicht, Friedl mit Arigund allein zu lassen, steckte ihm doch der Anblick des Ritters, der mit gezücktem Schwert und entschlossener Miene auf sie zustürmte, noch in den Knochen. Es war schieres Glück gewesen, dass die Ochsenkarren den Weg versperrt und seinen Verfolger aufgehalten hatten. Wie hatte der Mann sie so schnell einholen können? Inzwischen hatte bestimmt auch er Prag erreicht. Der Räuber ging allerdings davon aus, dass man ihn in diesem bunten Völkergemisch nicht so leicht würde aufstöbern können. In jedem Fall würde er Zeit gewinnen, und die galt es zu nutzen. Gelang es ihm, das Geschäft schnell abzuschließen und das Mädchen loszuwerden, konnte er sich wieder davonstehlen.
Zunächst aber benötigten sie einen Unterschlupf. Den hoffte Vaclav bei seiner Familie zu finden. Er würde ihnen gegenüber Arigund als seine Frau ausgeben. Dann würde schon niemand unangenehme Fragen stellen.
»Kommt!«, befahl er seinen Begleitern.
Gemeinsam verließen sie das Viertel, um die Moldau an der Furt bei Poric zu überqueren. Lange suchten sie vergeblich nach Vaclavs Verwandten. Niemand kannte sie dort. Der kurze Tag neigte sich bereits wieder seinem Ende zu, als sie sich endlich dazu entschlossen, in einer Spelunke Unterkunft zu nehmen. Der Wirt musterte Arigund, die sterbenselend aussah, und verlangte den doppelten Preis. Zähneknirschend willigte der Räuber ein. Gestützt von den beiden Männern wurde das Mädchen in eine Dachkammer geschleppt und auf ein einfaches Lager gelegt. Aus allen Ritzen zog es hier. Vaclav schimpfte über das »Rattenloch«. Der Wirt zuckte mit den Schultern und ließ sie einfach stehen.
Vaclav warf einen Blick auf seine Geisel.
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