Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
zufällig zugegen.«
Der Mann hatte also Erkundigungen eingezogen.
»Ja und nein«, antwortete Heinrich vorsichtig. Er war des Frage-und-Antwort-Spiels bereits überdrüssig. Zeit, selbst die Initiative zu ergreifen. »Doch erzählt mir zunächst, wie es überhaupt zu dieser Entführung kam?«
»Das ist mit wenigen Worten geschehen. Es muss der Unachtsamkeit der Kinderfrau zugeschrieben werden. Ich habe sie selbstverständlich sofort ihre Sachen packen lassen.«
»So hat sie Aleandra auf der Straße aus den Augen gelassen?«
DeCapella machte ein bekümmertes Gesicht. »Nein, es scheint, als seien unsere Kinder nicht einmal mehr im eigenen Garten sicher. Wir nehmen an, der Entführer drang durch eine Gartenpforte in mein Grundstück ein. Er riss das Kind mit sich und floh auf die Straße. Wenn Ihr nicht die Situation so schnell erfasst hättet, dann wäre es Aleandra schlimm ergangen. Wodurch fiel Euch der Mann auf?«
»Herr DeCapella, ich jage diesem Kerl schon eine ganze Weile hinterher. Es handelt sich um einen ganz dreisten Burschen, der vor nichts zurückschreckt.«
Der Kaufmann nickte. »So kennt Ihr seinen Namen?«
»Er nennt sich Vaclav.«
»Nicht ungewöhnlich für Prag. Ihr kennt sein Gesicht?«
»Ich erkannte ihn auf der Straße und er mich. Ich versuchte ihn zu stellen, was leider misslang.«
»Das mindert nicht die Tapferkeit Eures Handelns und ändert nichts daran, dass Ihr meine Tochter gerettet habt.«
Nachdenklich nippte der Kaufmann an seinem Becher und tauchte ein Stück Brot in eine Schüssel mit warmer Milch.
»Verzeiht meine direkte Frage, aber Ihr batet gestern um eine Audienz. Es ging nicht etwa um diesen Vaclav?«
Heinrich musterte das Gänsebein, das er gerade in der Hand hielt, und zögerte kurz mit der Antwort. Wie viel würde er DeCapella erzählen müssen, um ihn als Verbündeten zu gewinnen, ohne dass der Handelsherr gleich die ganze Stadtwache mobilisierte? Zumindest was Vaclav anging, brauchte Heinrich kein Blatt vor den Mund zu nehmen.
»Doch, genau darum ging es«, bestätigte der Ritter.
»So hattet Ihr bereits Kenntnis davon, dass der Bursche meine Tochter entführen wollte?«
Heinrich sah überrascht auf, was der Kaufmann fälschlich als Bestätigung deutete.
»Der himmlische Vater möge mir verzeihen«, seufzte DeCapella, »und ich habe Euch nicht empfangen. Das Leben meines Kindes habe ich riskiert, und Euch habe ich brüskiert. Das war unverzeihlich.«
Bekümmert griff sich DeCapella ans Herz, fasste dann jedoch nach dem Trinkpokal und leerte ihn bis auf den letzten Tropfen. Seine Hand zitterte ein wenig, als er sich nachschenkte.
»Nun, mir ist tatsächlich zu Ohren gekommen, dass dieser Mann nach Prag kam, um Eurem Hause Schaden zuzufügen«, erklärte Heinrich vorsichtig.
»Das ist tragisch, wirklich tragisch. Ihr müsst mich für einen Narren halten, Herr Heinrich.«
»Nichts liegt mir ferner.«
»Aber warum habt Ihr in dem Schreiben keine Andeutung gemacht. Ich hätte doch sofort …«
Heinrich winkte ab. Ihm stand nicht der Sinn nach Erklärungen und Entschuldigungen. »Heute folgte ich Eurer Einladung, weil wir nun beide ein Interesse daran haben, diesen Mann ohne großes Aufsehen dingfest zu machen. Oder liege ich da falsch?«
DeCapella tat einen weiteren, tiefen Schluck aus seinem Weinkelch, tupfte sich die Lippen mit einem weißen Leinentuch ab. Seine Hand zitterte nicht mehr, und um seinen Mund machte sich ein entschlossener Ausdruck breit. »In der Tat, lieber Herr von Meißen, in der Tat. Ich fürchte, wenn bekannt wird, wie leicht dieser Streich gelang, könnten noch andere Gesetzlose auf die Idee kommen, sich an Patrizierkindern zu vergreifen. Die Folgen wären nicht auszudenken.«
Der Venezianer breitete theatralisch die Arme aus und machte ein übertrieben bedrücktes Gesicht. Der nächste tiefe Schluck Rotwein ergoss sich in seinen Schlund. Noch einmal wurden die Lippen getrocknet. Dann beugte sich DeCapella vor.
»Die Lokatoren teilen diese Meinung mit mir. Seid also unserer Unterstützung sicher.«
Heinrich legte fragend die Stirn in Falten. Von Lokatoren hatte er noch nie gehört. DeCapella sah es und erklärte. »Sie verkörpern Recht und Gesetz in Prag. Aber darf ich erfahren, was Euch treibt, solchem Gesindel hinterherzujagen? Mir scheint das ein recht ungewöhnlicher Zeitvertreib für einen Ritter?«
Heinrich zögerte mit der Antwort. Sie waren an einem kritischen Punkt angekommen. Jetzt galt es, sich zu entscheiden, und das
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