Die Wandersängerin: Historischer Roman (German Edition)
Der runzelte die Stirn und fragte barsch nach seinem Begehr.
»Durch Zufall hörte ich, dass wir einen ganz außergewöhnlichen Sänger unter uns haben, hoher Herr«, begann er und fixierte Arigund.
»Ihr meint wohl gar Euch selbst, Herr von Sonnenburg?«
Noch einmal verbeugte sich der Sänger. »Es ehrt mich, dass Ihr ihn in mir vermutet. Leider ist meine Kunst bescheiden gegenüber der seinen.«
»Von wem sprecht Ihr?«, wollte der König wissen.
»Von einem Troubar aus Venezien.«
Arigund trat unruhig von einem Fuß auf den anderen. Sie sah zu Heinrich, dem die Zornesröte ins Gesicht stieg.
»Diesmal überzieht er es mal wieder«, raunte er Arigund zu. Gemeinsam hofften sie, der König würde abwinken, und offenbar wollte er es auch, doch da zupfte ihn seine Gattin sanft am Ärmel und flüsterte ihm etwas zu. Der König rollte mit den Augen und sagte: »So mag er vortreten und uns seine Kunst demonstrieren, der Troubar.«
Friedrich machte eine ausladende Handbewegung zu Arigund.
Ottokar sah Heinrich an, doch dann verstand er: »Ist gar Euer Spielmann gemeint, Herr Heinrich?«
Arigund machte hastig einen Schritt nach vorne. Verbeugte sich tief vor dem Herrscher und meinte mit leiser Stimme: »Verzeiht dem Herrn Friedrich, hoher Herr, aber meine Kunst ist zu bescheiden, um Eure Hallen zum Leuchten zu bringen.«
Ottokar strich sich über seinen Spitzbart und musterte Arigund kurz. Mit gewohnt gebieterischer Stimme wischte er ihren Einwand beiseite: »Das zu beurteilen ist meine Sache. Zeigt Eure Kunst, Herr …?«
»Tassilo, Tassilo dal Monte.«
»Nun denn, beginnt, Tassilo dal Monte, auf dass wir auf Euer Wohl und Eure Stimme trinken können.«
Erschrocken blickte Arigund zu Heinrich, doch der reichte ihr lediglich die Laute und zog sich stumm zurück. Es war an ihr, den König zu überzeugen. Nachdenklich strich die junge Frau über die Saiten. Welches Lied würde angemessen sein für einen König? Und dann kam es ihr wie von selbst über die Lippen:
Ich steh auf der Burgen Zinnen
Und sehne mich so sehr.
Wie könnt ich den Mauern entrinnen,
Damit ich bei dir wär.
Wenn ich ein Vöglein wär,
Erhöb ich mich auf Schwingen.
Ich flög nicht weit – nur an dein Herz,
und würde beglückt dort singen.
Arigund sah das überraschte Gesicht des Herrschers. Er räusperte sich: »Ihr habt es gewagt, vor Eurem König die Unwahrheit zu sagen!«, donnerte seine Stimme durch den Saal.
Arigund sackte in sich zusammen. So leicht war es, ihr Spiel zu durchschauen? Gewiss erwartete sie nun eine harte Strafe. Ottokar erhob sich und kam auf sie zu. Sie wagte nicht, sich zu bewegen, lag vor dem Herrscher auf den Knien und beugte den Nacken. Die Dielenbretter knarrten laut unter seinen schweren Schritten. Im Saal war es totenstill.
»Eure Stimme, höchst ungewöhnlich, fast wie bei einem Knaben. Ich fordere Euch auf, Tassilo, ein weiteres Stück zum Besten zu geben, und seht mir dabei in die Augen.«
Arigund kämpfte mit der Fassung. Bloß nicht in Tränen ausbrechen. Diese Blöße wollte sie sich auf keinen Fall geben. Wenn schon, dann mit fliegenden Fahnen untergehen! Fast trotzig hob sie die Augen und sah Ottokar an. Vielleicht konnte ihn ein kirchliches Lied milde stimmen. Wie gut, dass sie so oft mit dem Prior gesungen hatte. Sie wählte erneut ein kurzes Stück, diesmal in lateinischer Sprache, und sie sang es – wie der König es wünschte – auf Augenhöhe mit ihm, dem mächtigsten Herrscher des Abendlandes. Der ließ während des gesamten Liedes den Blick nicht von ihr. Kaum hatte sie geendet, schritt er erneut kopfschüttelnd um sie herum und musterte sie. Arigund senkte wieder den Blick. Ottokar kam ihr so nahe, dass sie glaubte seinen Atem im Nacken zu fühlen. Seine Worte brachten ihre braunen Locken zum Vibrieren: »Und Ihr, Heinrich von Meißen, habt Euch zumindest der Mitwisserschaft schuldig gemacht, denn Ihr habt geschwiegen. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll.«
Plötzlich stand Heinrich allein. Alle, die ihn eben noch umringt hatten, waren zurückgewichen. Er sank auf die Knie und stammelte: »Verzeiht, hoher Herr, ich …«
Mit einer einfachen Handbewegung brachte der König ihn zum Schweigen. Er baute sich vor Arigund auf und fasste mit der Spitze seiner Hand an ihr Kinn, sodass sie ihn ansehen musste. Stumm betrachtete er den vermeintlichen Sänger.
»Ich bleibe dabei, Ihr habt gelogen, als Ihr behauptetet, Eure Kunst wäre nicht ausreichend für die Ohren eines Königs«,
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