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Die Wanifen

Die Wanifen

Titel: Die Wanifen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: René Anour
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zu lauschen.
    »Oh«, meinte er schließlich. »Du hast recht.«
    »Er ist gleich hier«, rief ich und hob schützend meinen Stab.
    Kauket runzelte nachdenklich die Stirn.
    »Hm … vielleicht hast du recht. Wir sollten besser gehen.«
    Er hob seinen Stab und schlug damit auf den Felsen vor ihm … im nächsten Augenblick war er verschwunden.
    Bitte? Was passierte hier?
    Das Brüllen des Perchts riss mich aus meiner Erstarrung. Die massige Gestalt brach durch das Dickicht am Rand der Lichtung.
    Mir blieb keine Zeit zum Überlegen. Ich rannte zu dem Felsen hinüber und ließ meinen Stab mit voller Wucht darauf niederfahren …
    Das Brüllen verebbte.
    »Gut gemacht.«
    Ich fuhr mit einem erschrockenen Keuchen herum.
    Kauket stand ein paar Schritte neben mir und betrachtete mich ernst.
    »Wo ist er hin?«, rief ich und ließ meinen Blick über den Waldrand gleiten.
    »Ich denke, er ist noch in der Nähe«, meinte Kauket schulterzuckend.
    »Was soll das heißen? Wo ist er hin?«
    Kauket sah in den Himmel, der sich allmählich verdunkelte. »Du bist gerade noch rechtzeitig zurückgekommen. Noch länger und ich hätte nach dir gesucht.«
    »Wieso?«
    »Komm«, meinte er. »Wir sollten jetzt nach Hause gehen.«
    »Das Dorf ist weg«, erklärte ich mit bebender Stimme. »Und die Gräber … als hätte es sie nie gegeben.«
    »Ich habe das Gefühl, wir werden jetzt mehr Glück bei der Suche haben«, behauptete Kauket augenzwinkernd und setzte sich langsam in Bewegung.
    Seltsamerweise schien er überhaupt keine Angst zu haben, während ich jeden Moment erwartete, angegriffen zu werden.
    Als hätte sich die Welt gegen mich verschworen, trafen wir direkt neben der Mündung des kleinen Bachs auf das Gräberfeld der Urukus zwischen den Rotbuchen. Bereits von hier aus konnte ich das Licht von Nephtys’ Herdfeuer in der Hütte erkennen.
    »Es war alles verschwunden, ich schwör’s. Ich stand genau hier und dann war ich im Dorf, alles Menschliche war wie fortgewischt.«
    »Es war die ganze Zeit hier«, sagte Kauket. Wenn das stimmte, dann ließ es nur einen möglichen Schluss zu: Ich musste am falschen Ort gewesen sein, aber auch das ergab keinen Sinn. Ich versuchte, während des restlichen Rückwegs vergeblich, mir eine plausible Erklärung für das Geschehene zusammenzureimen.
    Nephtys starrte mich an, als hätte sie einen Geist vor sich, als ich die Hütte betrat. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie seltsam ich aussehen musste mit all den Holunderblättern in meiner Kleidung und meinem Haar. Außerdem hatten die Blüten ihre kleinen Köpfe abgeworfen, die mir nun am ganzen Körper klebten.
    Ihr Blick wanderte von mir zu Kauket und verhärtete sich schlagartig.
    »Was hast du mit ihr gemacht?«, fragte sie vorwurfsvoll.
    »Sie hat heute eine wichtige Lektion gelernt«, erklärte Kauket trocken.
    »Wirklich? Was für eine? Es war ihr erster Tag.«
    »Je schneller sie lernt, desto eher kann sie sich verteidigen.«
    Nephtys wandte sich mir kopfschüttelnd zu.
    »Setz dich ans Feuer, Ainwa. Ich helfe dir, das Gestrüpp loszuwerden, dann besorgen wir dir etwas zu essen.«
    Ich ließ mich nicht lange bitten. Die Strapazen des Tages forderten langsam ihren Tribut und meine Augenlider wurden immer schwerer.
    »Was habe ich falsch gemacht, Kauket?«, fragte ich, während Nephtys Blätter aus meinem Haar zupfte.
    »Du warst respektlos«, erklärte der Uruku. »Ein Wanife darf niemals abfällig über die Geister sprechen. Vielleicht ist das die wichtigste Lektion von allen. Ohne die Geister ist ein Wanife nichts.«
    »Du hättest es ihr auch erklären können«, murmelte Nephtys missbilligend.
    »Konnte ich deshalb das Dorf nicht finden?«, fragte ich. »Weil ich die Geister verärgert habe?«
    »Darüber reden wir morgen.«
    »Hasst der Percht mich, weil ich seinen Herrn getötet habe?«
    »Morgen … Da kannst du ihn das fragen.« Nephtys zog etwas fester an meinen Haaren.
    »Es ist zu früh, Kauket«, flehte sie. »Lass ihr noch etwas Zeit, bitte.«
    »Angst ist ein wichtiger Bestandteil im Leben eines Wanifen, Ainwa. Vergiss es nicht!«
    Nephtys brachte mir gebratenes Fleisch von dem Reh, das sie heute Morgen erlegt hatte. Ich schlang es mit einem Bärenhunger hinunter und spürte, wie sich ein angenehm warmes Gefühl in meinem Magen ausbreitete.
    Kauket aß nichts und verließ schweigend die Hütte. Ich fragte mich, wo er um diese Zeit noch hin wollte, aber zugleich war ich dankbar, seinem strengen Blick für eine Weile zu

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