Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Washington-Akte

Die Washington-Akte

Titel: Die Washington-Akte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steve Berry
Vom Netzwerk:
nirgendwo zu sehen.
    Hale ging in seinem Arbeitszimmer auf und ab. Die anderen drei Kapitäne waren vor einer Stunde aufgebrochen. Hoffentlich würde bis zum nächsten Morgen der Jefferson-Code entschlüsselt sein, so dass sie ihre gesetzliche Immunität wiedererlangen könnten. Dann könnte die Staatsanwaltschaft mit ihren Steuerhinterziehungsvorwürfen zum Teufel gehen.
    Er blickte auf den dunklen Pamlico River hinaus. Einsamkeit gehörte zu dem, was er an dieser Zufluchtsstätte seiner Familie am meisten zu schätzen wusste. Er schaute auf die Uhr. Beinahe 22.30 Uhr. Knox hätte inzwischen schon längst Bericht erstatten sollen.
    Er nahm es übel, wenn man ihn Pirat nannte. Wie es sein Buchhalter und Stephanie Nelle getan hatten. Und wie es alle taten, die sein Erbe nicht verstanden. Gewiss, das Commonwealth war in vielerlei Hinsicht von den Piratengesellschaften inspiriert und verwendete Praktiken und Taktiken, die im 17. und im frühen 18. Jahrhundert eingeführt worden waren. Abe r jene Männer waren keine Narren gewesen, und sie hatten ihre Nachfahren eine Lektion gelehrt, die Hale nie vergessen hatte.
    Halte dich ans Geld.
    Politik, Moral, Ethik – nichts davon zählte. Es ging nur um Profit. Was hatte sein Vater ihn noch gelehrt? Nicht die Mildtätigkeit der Metzger, Brauer und Bäcker verschafft uns unser Abendessen, sondern ihr wohlverstandenes Interesse. Die Habgier allein nötigte die Geschäftsinhaber, ihre Kunden zu bedienen. Sie garantierte das beste Produkt zum günstigsten Preis.
    Dasselbe galt auch für die Kaperei. Nahm man die Verlockung des Reichtums weg, blieb keine Motivation mehr übrig. Jeder wollte doch vorankommen.
    Was war daran verkehrt?
    Anscheinend alles.
    Das Verrückte daran war, dass nichts davon als revolutionär bezeichnet werden konnte. Kaperbriefe gab es seit siebenhundert Jahren. Das Wort marque war aus dem Französischen entlehnt und bedeutete »Beschlagnahmung von Ware«. Kaperfahrer waren ursprünglich aus gebildeten Kaufmannsfamilien gekommen, manche waren sogar Adlige gewesen. Sie wurden voller Achtung als »Gentleman-Seeleute« bezeichnet. Ihr Credo? Nie mit leeren Händen zurückkommen. Ihre Beutezüge hatten auch die Staatskassen bereichert, so dass die Könige zu Hause die Steuern hatten senken können. Die Kaperfahrer schützten die Nation vor Feinden und halfen Regierungen in Kriegszeiten. Die Piraterie selbst endete gegen 1720, doch Kaperfahrer machten noch hundertfünfzig Jahre weiter. Jetzt hatten die Vereinigten Staaten anscheinend beschlossen, die letzten Überreste dieser Tradition zu beseitigen.
    War er ein Pirat?
    Vielleicht.
    Seinen Vater und seinen Großvater hatte dieses Etikett nicht gestört. Sie waren tatsächlich stolz auf ihre Freibeutersitten gewesen. Warum sollte er das nicht ebenfalls sein?
    Das Telefon läutete.
    »Schlechte Nachrichten«, sagte Knox, als Hale abnahm. »Ich bin reingelegt worden.«
    Als Hale sich anhörte, was in New York geschehen war, kehrte seine Besorgtheit zurück. Schon wieder rückte die Rettung in weite Ferne. »Ich möchte, dass Sie sofort zurückkommen.«
    »Bin schon unterwegs. Das ist der Grund für meinen verspäteten Anruf. Ich wollte erst aus New York heraus sein.«
    »Kommen Sie nach Ihrer Rückkehr sofort zu mir nach Hause. Und erstatten Sie den anderen nicht Bericht. Noch nicht.«
    Er beendete das Gespräch.
    Und wählte sofort eine neue Nummer.
    26
    La Plata, Maryland
    23.20 Uhr
    Wyatt ließ den Blick über den waldigen Campus des Garver Institute schweifen. Fünf Backsteingebäude, jedes drei Stockwerke hoch, standen eine Viertelmeile vom Highway entfernt in einem bewaldeten Tal. Wolken trieben über den schwarzen Himmel und verschleierten den Halbmond. Ein Regenschauer hatte ihn auf dem wenige Meilen entfernten Flughafen empfangen, wo Carbonell ihn abgesetzt hatte. In der Ferne rollte Donner.
    Er war absichtlich nicht auf einen der erleuchteten Parkplätze mit den etwa hundert leeren Buchten gefahren. Tatsächlich hatte er den Wagen, den Carbonell ihm gegeben hatte, am Rand des Highways stehen lassen und war zu Fuß gekommen. Bereit für alles, was ihn erwarten mochte.
    Er hatte Carbonell nachgeschaut, die südwärts in Richtung Potomac River und Virginia davongeflogen war. Washington lag im Norden. Wohin war sie jetzt wohl unterwegs?
    Er suchte Deckung hinter den Bäumen, die den Rand der Zufahrt säumten, und bewegte sich vorsichtig auf das einzige Gebäude zu, in dem im zweiten Stock noch Licht brannte.

Weitere Kostenlose Bücher