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Die Wasserfälle von Slunj

Die Wasserfälle von Slunj

Titel: Die Wasserfälle von Slunj Kostenlos Bücher Online Lesen
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fortschritt und schon zu einer Art von Zerklüftung geführt hatte, kurz: das Ganze hielt nicht mehr zusammen – es fiel aus der gemeinsamen Lösung, es wurde ausgefällt – und jeder Teil für sich begann in einer Art erstaunlich zu werden, die nicht fruchtbar zu nennen war, sondern nur mehr befremdlich: sei das nun sein Haus, das Schlafzimmer, das Arbeitszimmer, seine alte Haushälterin, das Professorenzimmer in der Universität, oder Rita, wenn sie kam: Doctor Eugen lebte in einem pluralistisch zerfallenden Inventar – zwischen dem auch die leeren Räume der Müdigkeit standen – das er gleichwohl, wenn auch mit Unbehagen, manövrierte; und sein Staunen über den Zustand mußte ihm unwürdig erscheinen, wenn er an seine hohen Jahre dachte und ihnen an alledem Schuld geben wollte. War das seine Lebensernte und letzte Weisheit, daß ihn Umstände umgaben, mit denen er täglich umging, die er selbst herbeigeführt hatte, ohne sie im geringsten mehr zu begreifen?
    Weitaus nicht so deutlich wurde das gedacht, auch so deutlich nicht gefühlt.
    Der Mensch, wenn er dauernd mit einer wissenschaftlichen Terminologie umgeht, wird schließlich sprachlos im Verkehre mit sich selbst: er kann sich da nicht mehr verständlich machen und wird von seinem eigenen Ich auch nicht mehr verstanden; dieses ist so nicht ansprechbar. Es verlangt eine ruppige Privatsprache, mit Ausdrücken, die für andere unverständlich wären; etwa so wie die verschiedenen Kindersprachen unter kleinen Geschwistern. Der innere Dialog bei Doctor Eugen erstarb.
    Der Wagen war ans Ende der großen Allee gelangt, fuhr im Schritt um den Barock-Pavillon, der hier stand, und dann in der Gegenrichtung zurück. Am Himmel hatte der Sonnenuntergang indessen sein ernstes Schauspiel vollendet. Durch die Kronen einzelner hoher Praterbäume trat noch die Abendglut.
    M ünsterer, seit er nicht mehr nur auf dem Bauche lag, seit er nicht mehr nur wegwischen und austilgen wollte, was ihn da umstand, sondern es als stehend und seiend wahrnahm, als gegebenen Umstand eben: Münsterer erkannte nunmehr doch auch die Vorteile seiner Lage.
    Wohl, er war gehausmeistert, er war nichts als ein Exponent, und noch immer Sudelküchenesser. Aber doch wartete kein grausliches Bettlein in Enge und Finsternis tief im Bockshorn: sondern ein eigenes Zimmer.
    Er konnte abends die Troglodyten-Höhle verlassen und hier heraufgehen; hier sitzen; bei selbstgekaufter Kerze. Die Lampe vermied er.
    Er fügte sich. Das war entscheidend.
    Wer es versteht und den Weg weiß, der lebt auch in der Hölle behaglich.
    Eines Abends, als er wieder hinaufkam, leuchtete im Vorzimmer, wie einst, wie eh und je, die Petroleumlampe mit dem breiten Fuß.
    Sie roch auch.
    Warm und rundlich, sanft und doch penetrant.
    Münsterer blieb hier im Vorraume stehen und versank in Nachdenken. Es war das beste, was er tun konnte.
    Sodann ging er mit leisen und raschen Schritten an die Türe des rechter Hand benachbarten Zimmers und lauschte. Es blieb vollkommen stille. Das Vorzimmer schwamm im laulichen Lampendunst. Er drückte langsam die Klinke der Zimmertür und öffnete diese. Der Raum lag gleichfalls erleuchtet, von einer kleinen Stehlampe, die herabgeschraubt war und stark roch. Münsterer ging nach links und fand im anderen Zimmer den gleichen Sachverhalt. Er sah einen mit Wachstuch bezogenen Diwan, den ein weißes Leintuch bedeckte. Der hölzerne aufklappbare Waschtisch war geöffnet. Daneben stand ein emaillierter Eimer.
    Nach solchen Konstatierungen zog sich Münsterer sogleich auf das ihm allein vorbehaltene Terrain zurück. Er entzündete seine Kerze – und eine Cigarette, was ihm sehr gut tat – versperrte die Tür und betrachtete erstaunt und erfreut eine perfekte Einsicht, die er aus dem Vorzimmer mitgebracht hatte: daß nämlich nur die einer jeweiligen Lage angemessenen Verschärfungen irgendwohin zu führen vermögen. Er war voll guten Vertrauens. Er ging zu Bett, und hörte es nicht mehr, als sich ein Schlüssel ins Schloß schlich.
    M ünsterer sollte nicht enttäuscht werden. Kaum eine Woche nachdem die Wewerka wieder Weiber in Chwostik’s einstmalige Wohnung introduciert hatte – etwa wie man Krebse setzt in einen Bach – erhielt er seine Einberufung zum dreijährigen militärischen Praesenzdienste (als tauglich war er schon vordem befunden worden), und wurde zum k. u. k. Infanterie-Regimente No. 84 (Ergänzungsbezirk Wien und Niederösterreich) assentiert.
    Er ist nie mehr in die Adamsgasse

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