Die Wassermuehle
heute Nacht die Spinnen unters Bett gesoffen?“
„Das habe ich auf den Schock hin gebraucht.“
„Du siehst aus wie in die Ecke gespuckt.“
Vivienne drehte sich beleidigt zur Wand. „Lass mich zufrieden.“
„Herrgott! Steh gefälligst auf und begrüße deinen Gast! Er ist extra wegen dir aus München angereist.“
„Ich kann nicht. Mein Kopf platzt. Mir ist schlecht. Ich sterbe.“
„Soll ich das etwa deinem Wolfgang erzählen?“
Vivienne sah sie mit einem flehenden Gesichtsausdruck an. „Bitte, Hedi! Dir fällt bestimmt irgendwas Nettes ein. Sag ihm, dass ich schrecklich krank bin und ihn nicht empfangen kann. Meinetwegen zeig ihm meine restlichen Bilder.“ Bei dem Wort restlichen schossen ihr Tränen in die Augen.
„Beschwer dich hinterher bloß nicht, wenn ich deine Schinken zu Spottpreisen verscherbelt habe!“
Vivienne zog sich die Decke über den Kopf. „Von mir aus kannst du sie alle verschenken. Hauptsache, ich muss nicht aufstehen.“
Wolfgang Bernsdorf saß auf dem Biedermeiersofa und rührte gedankenverloren in seiner Kaffeetasse; als Hedi ins Zimmer kam, stand er auf.
Sie zuckte die Schultern. „Es tut mir leid, Herr Bernsdorf. Frau Belrot lässt sich entschuldigen. Ihr geht es heute gar nicht gut.“
„Oh“, sagte er. „Ich hoffe, es ist nichts Ernstes?“
„Nein“, sagte Hedi.
Er setzte sich wieder. „Ihr Kaffee schmeckt vorzüglich, Frau Winterfeldt.“
Hedi war verwirrt. Machte es ihm gar nichts aus, dass er umsonst gekommen war? „Ich mahle ihn immer frisch“, sagte sie, um irgendwas zu sagen. „Das verbessert das Aroma.“
„Sie wohnen sehr romantisch hier draußen.“
„Die Eichmühle wurde 1653 erbaut und ist seitdem im Besitz meiner Familie“, erklärte Hedi stolz.
„Sieh an. Sie sind also ein Abkömmling der diebischen Müllerszunft.“
„Was?“
Er grinste. „Wissen Sie das etwa nicht? Ihre Altvorderen hatten das Ansehen von Totengräbern, weil sie es nicht fertigbrachten, aus einem Kilo Korn ein Kilo Mehl zu mahlen. Heute weiß jedes Kind, dass auch vermeintlich trockenes Getreide Wasser enthält, das beim Mahlen verdunstet.“
„Ein Malter“, sagte Hedi. Seine Stimme klang warm und herzlich. Sein Grinsen gefiel ihr nicht.
„Bitte?“, fragte er vergnügt.
„Die Maßeinheit für Getreide war Malter, nicht Kilo.“
Er trank seinen Kaffee aus und lehnte sich genüsslich auf dem Sofa zurück. „Im Gegensatz zum geizigen, bösen Müller stand die schöne Müllerin im Ruf, Sinnesfreuden nicht abgeneigt zu sein.“
„Entschuldigen Sie, aber Frau Belrot hat mich gebeten ...“
„Ich hätte Lust, sie mir anzusehen.“
„Wen?“
„Na, Ihre Mühle!“
„Sie werden sich Ihren hübschen Anzug ruinieren.“
„Ich habe eine Zweitausstattung im Kofferraum.“
„Erst die Arbeit, dann das Vergnügen, Herr Bernsdorf.“
„Wie bitte?“, fragte er verblüfft.
„Wenn Sie Ihren Rundgang durch Vivienne Belrots Atelier beendet haben, zeige ich Ihnen gern, wie meine Altvorderen ihr Mehl gemahlen haben.“
„Ich bin nicht hier, um Bilder anzukaufen.“
Hedi sah ihn entgeistert an. „Aber ich dachte ...“
„Frau Belrot wollte die Modalitäten eines Sponsoringvertrags mit mir besprechen.“
Hedi musste sich setzen.
„Stimmt etwas nicht?“
„Vivienne hat Ihnen Sponsoring zugesagt?“
„Für eine Ausstellung junger Künstler im kommenden Frühjahr. Hat sie Ihnen nichts davon erzählt?“
Hedi erwog, ihm Viviennes Kontoauszüge unter die Nase zu halten. „Selbstverständlich hat sie die Idee mit mir besprochen. Aber gestern entschied sie sich spontan für die Unterstützung eines Hamburger Kunstforums. Leider sind ihre finanziellen Mittel damit erschöpft. Was Kultursponsoring angeht, meine ich.“
„Und warum hat sie sich dann zwei Tage Bedenkzeit ausgebeten?“, fragte Bernsdorf verärgert.
„Frau von Eschenberg hat ihr Zurückhaltung empfohlen.“
„Wer ist Frau von Eschenberg?“
„Ja, aber ... Ich dachte, Sie kennen sich? Frau von Eschenberg ist Viviennes Agentin. Soweit ich weiß, hat sie eine Kunstagentur in Paris.“ Hedi fragte sich, wo Vivienne die Chance ihres Lebens tatsächlich aufgegabelt hatte. Wahrscheinlich im U-Bahn-Schacht vor dem Georgies.
„Ich wusste gar nicht, dass Frau Belrot eine derart gefragte Künstlerin ist“, sagte Wolfgang Bernsdorf.
„Sie scheut das Licht der Öffentlichkeit.“
„Trotzdem sollte ich ihre Arbeiten kennen.“
„Frau von Eschenberg wickelt ihre Transaktionen sehr
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