Die Wassermuehle
Kleinigkeit zu essen zu bringen?“
Katharina Schmidt lag im Dunkeln und weinte. Hedi zog die Rollläden hoch. Auf dem Nachttisch standen ein Teller mit angetrocknetem Kartoffelbrei und ein schmutziges Glas. Hedi trug beides in die Küche und spülte es unter heißem Wasser ab. Als sie zurückkam, war Katharina aufgestanden. Zitternd hielt sie sich an der Bettkante fest. „Ich hab’s wirklich versucht, Schwester. Aber ich schaffe es nicht, sie hochzubekommen.“
„Wie bitte?“
„Die junge Dame, Ihre Vertretung, die hat gesagt, solche Fisimatenten würde es bei ihr nicht geben, und wenn Sie das machten, dann wäre das Ihr Bier. Aber der Sozialstation würde sie es trotzdem melden.“
„Was denn, um Gottes willen?“
Katharina Schmidt sank aufs Bett und weinte wieder. „Die Rollläden. Die junge Dame hat gesagt, das steht nicht im Pflegeplan.“
„Soll das heißen, Sie haben die ganze Zeit im Dunkeln verbracht?“
„Sie hat gesagt, ich soll sie oben lassen. Aber mein Karl hat immer gesagt, ich muss sie abends unbedingt runtermachen. Wegen der Einbrecher.“ Katharina wischte sich die Tränen ab und griff nach Hedis Hand. „Es tut mir ja so leid, Schwester. Ich will doch nicht, dass Sie wegen mir dummen alten Frau Ärger bekommen.“
Hedi lächelte. „Rollläden rauf- und runterziehen ist mein größtes Hobby, das ich ausschließlich in meiner Freizeit und unentgeltlich ausübe.“
Katharina Schmidt sah sie fragend an. Dann fing sie an zu lachen.
Mathilde Wiedebrett empfing Hedi mit einem vorwurfsvollen Blick zur Uhr, schimpfte abwechselnd übers Wetter, ihre Kinder, Enkel und Urenkel und nahm zwei Haare in ihrem Kamm zum Anlass, einen Vortrag über die Nachlässigkeit der Pflegekräfte von heute zu halten. Hedi atmete auf, als die Haustür hinter ihr zufiel.
„Das nächste Mal parken Sie gefälligst draußen!“, rief Mathilde ihr durch das offene Küchenfenster nach. „Die Stellplätze im Hof sind ...“
Es folgte unverständliches Genuschel. Hedi drehte sich neugierig um. Mathilde Wiedebrett zeigte abwechselnd auf ihren zahnlosen Mund und die Brombeerhecke unterhalb des Fensters. Hedi winkte ihr fröhlich zu und stieg in ihren Wagen.
Als sie nach Hause kam, war der Hof zugeparkt und die Mühle eingerüstet. Auf dem Dach wuselten ein geschätztes Dutzend Männer hin und her. Gehämmer und Geschrei erfüllten die Luft. Vor dem Atelier lagen zerbrochene Latten neben Paletten mit Dachziegeln. Der notdürftig zur Seite geräumte Ast der alten Eiche war in säuberliche Scheite zerlegt; unter dem Baum gruppierten sich bunte Klappstühle um zwei Biertische. Vivienne und Elisabeth Stöcker trugen einen dampfenden Einkochtopf aus dem Haus.
Vivienne lachte. „Da staunst du, was?“
„Uwe meinte, dass Sie dringend ein paar Dachdecker benötigten“, sagte Elisabeth. Sie stellten den Topf auf einem Holzblock ab.
Hedi zog Vivienne beiseite. „Kannst du mir verraten, wie ich das bezahlen soll?“
Vivienne zeigte lächelnd auf einen angejahrten, bananengelben VW-Golf, der neben Hedis Rostbus stand. „Neunhundert, und er gehörte mir. Für das Cabrio habe ich so viel bekommen, dass es fürs Material und das Gerüst gereicht hat und sogar was übrig bleibt. Das Dachdecken machen die Männer nämlich umsonst. Ist das nicht nett?“
Elisabeth verteilte Teller und Löffel. Es duftete nach Kräutern und gerösteten Zwiebeln.
„Essen fassen!“, rief sie zu den Männern hinauf.
Hedi fiel Vivienne um den Hals und küsste sie auf die Stirn. „Heute ist mein Glückstag!“
Die Männer nahmen schwatzend und lachend ihre Plätze ein. Vivienne und Hedi setzten sich gegenüber von Matthias Mehret. Elisabeth füllte ihre Teller, Matthias reichte ihnen den Brotkorb.
„Können Sie denn Ihre Werkstatt einfach allein lassen?“, fragte Hedi.
„Solange mein Azubi keinen Mist baut, schon.“
„Ich weiß gar nicht, wie ich das wiedergutmachen soll.“
Matthias Mehret lachte. „Der nächste Sturm kommt bestimmt.“
Hedi sah ihn verlegen an. „Morgen werde ich die noch offene Rechnung für den Bus bezahlen.“
Er grinste. „Das hat Ihr Mann bereits erledigt.“
Hedi verschluckte sich. „Wie bitte?“
„Als er gestern Abend den Lkw abholte, waren wir zusammen mit meinem Schwager auf einen kleinen Imbiss im Alten Krug. Peter ist bei der Kripo in Darmstadt, und Ihr Mann fragte ihn, ob’s da in der nächsten Zeit irgendwelche freien Stellen gibt. Dann haben wir ein bisschen über dies und das gesprochen,
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