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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
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rechts Wohnzimmer zu nennen, war entschieden untertrieben. Er hatte die Ausmaße eines Bankettsaals und war, gemessen an seiner Größe, spartanisch eingerichtet. An einer Längswand standen ein rotes Ledersofa, ein zierlicher Glastisch und zwei Plüschgebilde, die offenbar als Sessel dienten. Über dem Sofa hingen zwei düstere Bilder; sie erinnerten Hedi an Viviennes Untergang. Auf einer Metallkonstruktion fanden eine Hi-Fi-Anlage und ein überdimensionaler Fernseher Platz; die dazugehörigen Lautsprecherboxen waren kaum kleiner als Juliettes Garderobenschrank. Eine gutbestückte Hausbar trennte den hinteren Teil des Raums ab, der als Esszimmer diente, wie ein ausladender Holztisch und zwölf hochlehnige Stühle zeigten. Hedi lächelte, als sie die mit filigranen Ornamenten versehenen Steinplatten sah, die am Durchgang platziert waren.
    Es gab keine Pflanzen, keine Bücher, keine Teppiche und keinerlei Krimskrams. Lediglich der geölte Dielenboden und ein antiker Kachelkamin verliehen dem Raum ein wenig Gemütlichkeit. Die deckenhohen Sprossenfenster waren weiß gestrichen und ohne jeden Schmuck. Hedis Obstschale stand auf einem runden Beistelltisch vor einem der Fenster. Zwei rotwangige Äpfel lagen darin. Erst als Hedi sie berührte, merkte sie, dass sie aus Holz waren.
    „Ich habe dir versprochen, dass sie einen Ehrenplatz bekommt.“
    Hedi fuhr erschrocken herum. Wolfgang grinste. „Du schaust aus, als hätte ich dich bei etwas Verbotenem ertappt.“
    Sie zeigte auf die Steinplatten. „Hübsch.“
    „Soll ich dir erklären, was das ist?“
    „Das weiß ich schon: Stelen. Kommt aus dem Griechischen und bedeutet Säulen. In der antiken Kunst wurden sie als Grabmal oder Weihgeschenk verwendet. In Äthiopien hat man welche ausgegraben, die zweifellos einen Phallus darstellen. So wie die beiden da.“
    „Ts! Was du für Wörter in den Mund nimmst.“
    „Könntest du mir bitte das Bad und dein bevorzugtes Gästezimmer zeigen? Ich würde mich gerne ein bisschen frisch machen.“
    Im Gegensatz zum Wohnzimmer war das Gästezimmer konventionell eingerichtet: Vor dem Fenster hingen bunte Gardinen, und das meerblau gestrichene Bett stand auf einem gelben Fransenteppich. In einem Wandregal stapelten sich Bücher; auf der Kommode darunter thronten zwei dickbäuchige Porzellanfiguren. Wolfgang stellte Hedis Tasche ab und zeigte ihr das Bad. Es hatte das Ambiente einer Zahnarztpraxis, eine riesige Duschkabine aus Glas und eine runde Badewanne, die in den Boden eingelassen war. Zwei Wände bestanden komplett aus Spiegeln.
    Hedi wusch sich Gesicht und Hände, bürstete ihr Haar und zog ein frisches T-Shirt an. Als sie ins Wohnzimmer zurückkam, reichte Wolfgang ihr lächelnd ein volles Champagnerglas. „Auf deinen ersten Besuch in München, dem hoffentlich noch viele folgen werden.“
    Sie stießen an; Wolfgang zeigte auf das Sofa, und sie setzten sich.
    Die Lederpolster waren hart, aber nicht unbequem. Hedi stellte ihr Glas auf den blitzblanken Tisch. „Kinder hattest du wohl noch nie in deiner Wohnung, oder?“
    „Nein. Warum?“
    „Ich dachte immer, Künstler hätten einen Hang zum Chaos.“
    „Ich bin kein Künstler, ich verdiene mein Geld mit ihnen. Davon abgesehen, müssen sich Kreativität und Ordnungsliebe nicht unbedingt ausschließen.“
    „Wie viele Putzfrauen beschäftigst du?“
    „Eine. Und eine Wirtschafterin. Warum?“
    Sie zuckte mit den Schultern.
    „Sag bloß, es gefällt dir nicht bei mir!“, sagte er gespielt beleidigt.
    „Die viele Luft zwischen den Möbeln ist gewöhnungsbedürftig.“
    Er lachte. „Deine Ehrlichkeit ist erfrischend. Ich bin gespannt, was du zu meinem kleinen Mitbringsel sagst.“ Er ging hinaus und kam mit einem flachen Karton zurück. „Das rote Kostüm, das du zu unserem ersten Rendezvous getragen hast, war zwar recht hübsch, aber ich hatte nicht den Eindruck, dass du dich besonders wohl darin fühlst. Vielleicht ist das hier eine Alternative?“
    „Mhm“, sagte Hedi. Wenn er Kleidung nach den gleichen Kriterien auswählte wie Möbel, dann gute Nacht. Am Ende erwartete er sogar, dass sie den Inhalt morgen zur Ausstellungseröffnung anzog? Sie öffnete den Deckel, schlug das Papier beiseite und beschloss, auf jeden Fall eine fröhliche Miene zu machen. In dem Karton lag ein schwarzes Doppelkleid mit einem geschlitzten, weich fließenden Chasuble in Floral-Dessin.
    „Am besten probierst du es gleich mal an“, sagte Wolfgang.
    Hedi nickte. Sie ging ins Bad, zog

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