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Die Wassermuehle

Die Wassermuehle

Titel: Die Wassermuehle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nikola Hahn
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Erfahrungen. Davon abgesehen, würde ich mir wirklich gern den Garten ansehen.“
    Es kostete Hedi Überwindung, durch die Pforte zu gehen. Juliette hatte ihren Garten geliebt, und die Erinnerung an sie war hier besonders schmerzlich. Die Möhren waren ins Kraut geschossen; dazwischen hatte Elisabeth Zwiebeln gesteckt.
    „Mischkultur“, sagte sie lächelnd. Auf den Beeten rechts und links davon gediehen Kohl und Kopfsalat, Radieschen und Rettiche; an den Wegrändern blühten Levkojen und Ringelblumen. Juliettes gestreifte Tomaten hatte Elisabeth am Gartenzaun entlang gepflanzt, und in einem mit Bruchsteinen gefassten Rondell wuchsen außer Dill, Schnittlauch und Petersilie jede Menge Kräuter, deren Namen Hedi nicht kannte.
    „Juliette wäre glücklich, wenn sie das sähe“, sagte sie bewegt.
    „Am glücklichsten wäre sie, wenn sie wüsste, dass Sie glücklich sind.“
    Hedi wurde rot. „Ist Ihr Sohn eigentlich noch an den Gewächshäusern interessiert?“
    Elisabeth nickte.
    „Er kann sie haben. Mitsamt den Wiesen dahinter. Vivienne und ich sind froh, wenn wir das nicht alles mähen müssen.“
    „Ich danke Ihnen.“
    „Ach was. Ich danke Ihnen.“
    Als Hedi eine halbe Stunde später ins Haus kam, balancierte Vivienne auf einem Stuhl vor dem Kamin und hängte Juliettes Porträt ab.
    „Was tust du da?“
    „Gott! Musst du mich so erschrecken?“
    „Lass das Bild bitte da, wo es ist.“
    Vivienne deutete auf das Gemälde, das ans Sofa gelehnt stand. „Meine Arbeiten erfordern eine angemessene Präsentation. Der Untergang gehört ins unmittelbare, unverstellte Blickfeld des Betrachters.“
    „Dann häng ihn meinetwegen in den Flur.“
    „Du verstehst nicht, was ich meine. Mein Sujet korrespondiert mit der Symbolik eines Feuers im Kamin: Leben und Zerstörung, Wärme und Kälte, in Asche erloschene Glut. Heiß ist der Liebe trunkenes Rot. In Schwärze zerfallen zeigt es den Tod.“
    „Juliettes Foto bleibt hängen!“
    Hedi ging in die Küche. Als sie zurückkam, hing Juliettes Bild neben der Tür. Vivienne lächelte. „Sag doch selbst: So sieht es viel harmonischer aus.“
    Wortlos lief Hedi aus dem Zimmer.
    Am Vormittag des dritten Tages trafen die ersten Handwerker in der Eichmühle ein. Sie parkten vor der Scheune und verwandelten das gesamte Anwesen innerhalb kürzester Zeit in eine von Geschrei, Gehämmer und Gesäge durchzogene, staubige Baustelle.
    „Müssen die in aller Herrgottsfrühe so einen Krach veranstalten?“, schimpfte Vivienne, als sie um halb zehn aus dem ersten Stock herunterkam. Unter ihrem Morgenrock lugte die Spitze eines apricotfarbenen Nachthemds hervor.
    Hedi war dabei, Juliettes Wohnzimmerschrank auszuräumen. „Du hast ihnen bei Verzug eine Konventionalstrafe angedroht.“
    Vivienne verzog das Gesicht. „Das ist ja schlimmer als in Frankfurt zur Rushhour.“
    „Vorgestern war’s dir noch zu ruhig. Dein Frühstück steht im Esszimmer. Magst du dein Ei eigentlich weich oder hart?“
    „Am liebsten steinhart.“
    „Du wirst mit mir zufrieden sein“, sagte Hedi und warf einen Stapel alte Handarbeitszeitschriften in eine Kiste.
    Nach einem ausgiebigen Frühstück verschwand Vivienne im Bad. Als sie, geduscht, gefönt und in eine Duftwolke gehüllt, wieder auftauchte, trug sie eine blassblaue Seidenbluse zu einem gelben Plisseerock. Lächelnd drehte sie sich im Kreis. „Meinst du, das steht mir?“
    Hedi leerte das letzte Schrankfach. Die Wörtertruhe. Literaturmagazin , waren die schlicht aufgemachten, abgegriffenen Hefte betitelt, die ihre Tante offenkundig über Jahre hinweg gesammelt hatte. Hedi blätterte eine Ausgabe durch; sie enthielt Gedichte, kurze Geschichten und Schwarzweißfotografien. Warum hatte Juliette nie erwähnt, dass sie sich für solche Dinge interessierte? Andererseits musste Hedi sich eingestehen, dass sie wohl wenig begeistert gewesen wäre, wenn ihre Tante sie außer mit Hof- und Gartengeschichten auch noch mit Abhandlungen über Poesie bedacht hätte.
    „Ich habe dich etwas gefragt“, sagte Vivienne verschnupft.
    Hedi legte die Hefte zu den anderen Zeitschriften in die Altpapierkiste und schloss den Schrank. „Der Hühnerstall müsste ausgemistet werden.“
    „Das ist keine Antwort.“
    Hedi schob die Kiste in eine Ecke. „Also gut. Ich kümmere mich um den Hühnerstall, und du erledigst den Abwasch.“
    Vivienne zupfte an ihrer Bluse. „Ich schaue lieber nach, was die da drüben in der Scheune treiben.“
    „Ich glaube nicht, dass das

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