Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
mir. Aber warum müssen wir schon wieder Geld auf die Cayman Islands überweisen oder zumindest so tun?«
»Es geht um Erpressung. Ich will nicht ins Detail gehen. Glaub mir einfach, dass ich es machen muss.«
»Die Bank wird es tun. Kein Problem«, sagte er.
»Großartig. Wenn ich dir die E-Mail mit der Bitte um die Überweisung schicke, schreibe ich die E-Mail-Adresse des Mannes und seine Faxnummer hinein, dann kannst du ihm die Kopie schicken.«
»Wieso sollte er die Überweisung einfach so akzeptieren?«
»Na ja, beim ersten Mal hat er es doch auch getan. Außerdem ist er kein Chinese, deshalb nehme ich an, er hat Vertrauen in Banken.«
»Das klingt ziemlich dünn.«
»Onkel, ich habe keine Zeit, alles zu erklären. Ich rufe von einem fremden Telefon aus an, weil ich meins nicht habe, also lass mich bitte zu Ende erzählen.«
»Ich höre ja zu.«
»Die falsche Überweisung soll mir nur die Zeit verschaffen, die ich brauche, um hier wegzukommen. Wie gesagt, ich werde dich erst darum bitten, die Fälschung zu schicken, wenn ich mit Bestimmtheit weiß, dass unser Geld in Sicherheit ist. Falls der Kerl aus irgendeinem Grund nicht anbeißt, müssen wir ihm vielleicht doch seinen Teil schicken. Die überzähligen zwei Millionen decken das meiste davon ab, und Tam kann für den Rest aufkommen.«
»Wie willst du mir Bescheid geben? Ich kann dich nicht mal erreichen?«
»In der Bitte um die Überweisung unterzeichne ich nur mit Ava, wenn ich will, dass du die gefälschte schickst. Wenn du das Geld tatsächlich überweisen sollst, schicke ich dir eine weitere E-Mail, in der ich um Bestätigung bitte, dass das Geld überwiesen wurde, und unterschreibe mit Ava Lee. Wenn du nicht meinen vollen Namen siehst, schickst du nichts.«
»Das gefällt mir nicht.«
»Onkel«, sagte sie ruhig, denn sie war sich der Kamera im Hintergrund bewusst, »dieser Kerl versucht uns aufs Kreuz zu legen. Das ärgert mich, und ich werde dabei nicht tatenlos zusehen. Ich will, dass Tam sein Geld bekommt, den vollen Betrag. Außerdem will ich unseren Anteil, plus ein klein wenig extra. Ich weiß, du verzichtest auf deinen Anteil, aber es gibt keinen Grund, warum du nicht die Hälfte des Bonus annehmen solltest. Schließlich hast du schon 300 000 Dollar vorgestreckt.«
»Was, wenn der Kerl dir auf die Schliche kommt?«
»Dann erzähle ich ihm, ein Systemfehler wäre schuld, und schicke dir die zweite Mail. Schlimmstenfalls sitze ich ein paar Tage länger hier fest.«
»Bist du dir ganz sicher?«
»Sicher genug, um es zu versuchen.«
»Und ich werde dich nicht erreichen können?«
»Nein, aber mach dir darüber keine Gedanken. Ich darf weder mein Handy noch meinen Computer allein benutzen. Im Moment bin ich im Büro des Bankers. Ich schicke dir vermutlich bald die E-Mail mit Bitte um Überweisung. Wenn du sie nicht in den nächsten 24 Stunden erhältst oder von mir hörst, schick Hilfe. Ich wohne in einem Guildford Appartement in Road Town, es ist auf Dereks Namen gebucht.«
»Weißt du«, sagte er leise, »ich wünschte, Tams Onkel hätte mich nicht gebeten, den Auftrag anzunehmen.«
Dafür ist es etwas spät , dachte sie. » Momentai – kein Problem, Onkel. Ich muss jetzt auflegen. Ich schicke dir die E-Mail, sobald es geht, und kann dich hoffentlich morgen anrufen.«
Als sie auflegte, kam sie sich plötzlich verlassen vor. Wann hatten Onkel und sie zuletzt unfreiwillig keinen Kontakt gehabt? Aber welche Wahl blieb ihr schon, fragte sie sich, als sie Derek anrief. Sein Handy klingelte viermal, und sie wollte schon eine Nachricht auf der Mailbox hinterlassen, als er plötzlich abnahm. Seine Stimme klang ebenso gereizt wie Onkels. »Wer ist da?«
»Derek, ich bins, Ava. Wo bist du gerade?«, fragte sie, wieder auf Kantonesisch.
»In Montreal. In ein paar Minuten geht mein Flieger nach Toronto. Was ist passiert?«
»Man hat mir gesagt, deine Papiere wären nicht in Ordnung.«
»Schwachsinn«, rief er.
»Ich weiß.«
»Ich bin völlig problemlos durch den Zoll gekommen, habe ein Taxi genommen und auf einem Markt in der Nähe des Appartements etwas zu essen und zu trinken besorgt. Ich war kaum zehn Minuten im Appartement, als es an der Tür klopfte – zwei Zollbeamte und ein Typ, der aussah wie ein wandelnder Berg. Ich wollte mit ihnen reden, aber sie haben mir nicht zugehört. Und wenn sie keine Zollbeamten gewesen wären, hätte ich mich gewehrt. Tut mir leid, Ava, aber so hätte es nichts genützt.«
»Nein,
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