Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Sorgfaltspflicht Genüge getan. Mehr konnte die Bank nicht verlangen.
Es wird standhalten , dachte Ava zufrieden und erhob sich.
»Wir bekommen Besuch, und ich brauche Ihre Hilfe«, sagte sie zu Robbins.
»Hm?«
»Der Banker kommt vorbei, um mich und Seto zu treffen. Wir müssen alles vorbereiten.«
»Und wie?«
»Folgen Sie mir.« Sie ging in Setos Schlafzimmer.
Er war immer noch bewusstlos, allerdings waren seit der letzten Dosis Chloralhydrat mehr als sechs Stunden vergangen. Sie wollte kein Risiko eingehen, dass er aufwachte, während Bates da war. »Stützen Sie ihn und versuchen Sie, ihn so weit wach zu kriegen, dass er trinken kann.«
Während Robbins Seto unter den Armen packte und hochzog, ging Ava den Kulturbeutel durch, den Anna Choudray für ihn gepackt hatte, und fand eine Zahnbürste und einen Kamm. Den Kamm warf sie aufs Bett, die Zahnbürste nahm sie mit ins Bad, wo sie eine weitere Dosis Chloralhydrat vorbereitete und zur Seite stellte. Mit einem nassen Waschlappen, einem Handtuch unterm Arm und der Zahnbürste mit Zahnpasta ging sie zurück zu den beiden Männern.
Robbins schüttelte Seto wie eine Puppe. Dieser verdrehte die Augen, doch sie fielen ihm sofort wieder zu. Sein Blick war leer, verständnislos, und Ava fragte sich, ob eine weitere Dosis wirklich erforderlich war, als er plötzlich lallte: »Was zur Hölle …«
»Halten Sie ihm den Mund auf«, befahl sie Robbins.
Es war fast unmöglich, Seto die Zähne zu putzen, weil er ständig den Kopf bewegte, doch zumindest ging jetzt ein schwacher Geruch nach Zahnpasta von ihm aus. Als Ava fertig war, wischte sie ihm mit dem Waschlappen die Zahnpastareste und den Speichel aus dem Mundwinkel und säuberte ihm schließlich das ganze Gesicht. »Bin gleich wieder da», sagte sie.
Seto schien eingenickt zu sein, als sie mit dem Chloralhydrat zurückkehrte. »Das muss er trinken«, erklärte sie Robbins.
Der hielt Seto erneut den Mund auf, und Ava schüttete die Flüssigkeit hinein. Seto hustete, und sie machte langsamer, damit er kleinere Schlucke nehmen konnte. Das Glas war halb leer, ehe er nicht mehr weitertrinken konnte. Sie ließ es dabei bewenden: ein erstickter Seto nützte ihr wenig. »Stützen Sie ihn noch einen Augenblick«, bat sie.
Ava ging mit dem Kamm ans Werk. Schließlich sah Seto präsentabel aus, und sie nahm ihm die Handschellen ab. »Legen Sie ihn wieder hin.« Sie löste das Duct Tape von seinen Knöcheln. Glücklicherweise hatte er weder dort noch an den Handgelenken Druckstellen. Die Bettdecke zog sie ihm bis zur Brust hoch, sodass seine Arme entspannt neben dem Körper ruhten. Danach trat sie einen Schritt zurück. Er sah dünn, blass und fahl aus – wie jemand, der sehr krank ist, aber gut versorgt wird. Seinen Koffer, der noch dort auf dem Boden stand, wo sie ihn am Vorabend abgesetzt hatte, stellte sie in den Schrank. »Das dürfte genügen«, sagte sie zu sich selbst.
Zurück im Wohnzimmer und schloss sie die Tür hinter sich. »Ich kann Sie hier nicht gebrauchen, wenn der Banker kommt«, informierte sie Robbins.
»Ich bleibe«, entgegnete er.
»Dann haben wir ein Problem. Müssen wir Ihren Bruder anrufen?«
»Ich verschwinde in mein Zimmer und mache die Tür zu. Das Appartement verlasse ich nicht.«
Ihr fiel kein überzeugendes Argument ein, warum das unvernünftig war. »Sie müssen sich absolut still verhalten.«
»Ich hab mein Schlagzeug nicht dabei«, murmelte er.
Sie nahm die beiden Aktenordner mit in die Küche, schlug sie auf und legte die beiden Dokumentensätze von Bates auf den Tisch. Noch einmal verglich sie die Unterschriften mit dem Pass und dem Ausweis. Damit würde sie durchkommen, es sei denn, der Betrachter ging von vorneherein davon aus, dass sie gefälscht waren. Sie waren nicht perfekt, das war ihr klar; sie waren gerade gut genug. Wenn Bates, Gott bewahre, ihre Echtheit anzweifelte, konnte sie sich immer noch mit Setos Krankheit herausreden.
»Hallo, hallo«, ertönte plötzlich eine Stimme aus der Gegensprechanlage bei der Tür. »Hier ist jemand, der eine Ms. Lee sprechen möchte.«
Ava schaute auf die Uhr. Bates war früh dran. »Schicken Sie ihn bitte nach oben.«
Robbins erhob sich vom Sofa und ging wortlos in sein Zimmer.
Bates wirkte leicht unbehaglich, als sie ihm die Tür öffnete. Sie hoffte, dass es an der Vorstellung lag, mit ihr allein – oder fast allein – in der Wohnung zu sein.
»Ich war noch nie in einem dieser Appartements. Obwohl ich viel Gutes über
Weitere Kostenlose Bücher