Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
sich seitdem nicht mehr gemeldet, das sagt doch eigentlich alles. Sie werden nichts mehr von denen hören, da bin ich mir sicher.«
»Das habe ich mir auch gedacht.«
»Finanzministerium hin oder her, nach dieser Sache werden wir keine Geschäfte mehr mit ihm machen.«
»Wir ebenfalls nicht. Ich schließe sein Konto, sobald die Überweisungen durch sind. Wenn Sie ihn sehen, richten Sie ihm aus, dass ich unter vier Augen mit ihm sprechen muss. Er kann hierherkommen, oder ich besuche ihn im Appartement.«
Ava setzte sich auf. »Jeremy, könnten Sie das vielleicht bis nach meinem Abflug verschieben? Das Ganze ist sehr unangenehm für mich. Eigentlich wollte ich bei ihm bleiben, bis er sich genug erholt hat, um abzureisen, aber jetzt muss ich wohl oder übel in Hongkong anrufen und meine Pläne ändern. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das zurückhalten könnten, bis ich mehr weiß.«
»Selbstverständlich«, sagte Bates und reichte ihr den Umschlag.
Ava berührte flüchtig seine Finger. Sie warf einen Blick auf den Umschlag. »Sind das meine Kopien?«
»Ja, natürlich. Verzeihen Sie meine Gedankenlosigkeit«, sagte er.
Sie öffnete den Umschlag und nahm die Bestätigungen heraus. Beide waren um Viertel nach vier ausgestellt worden. »Ich danke Ihnen vielmals.«
»War mir ein Vergnügen. Das mit dem Abendessen tut mir leid. Wie wärs mit morgen Abend?«
»Wenn ich dann noch hier bin – und das bin ich höchstwahrscheinlich –, sehr gerne.«
Als er sie zum Fahrstuhl brachte, fasste er sie leicht am Ellbogen, eine Geste der Zuneigung, die bestätigte, was sie insgeheim schon beschlossen hatte: Es war höchste Zeit, Tortola zu verlassen.
Als sich die Aufzugtüren schlossen, verschwand Jeremy Bates aus ihrem Leben, als wäre er nie ein Teil davon gewesen. Auf dem Weg nach unten beanspruchten die Robbins-Brüder all ihre Aufmerksamkeit. Doch erst als sie fast schon aus der Tür war, dämmerte ihr, dass sie beinahe einen Riesenfehler gemacht hätte. Sie hielt inne, öffnete den Umschlag und nahm die Überweisungsbestätigung über die zwei Millionen Dollar an Onkel heraus. Dann faltete sie sie mehrmals zusammen und versteckte sie in ihrem Unterhöschen.
Der Wagen stand immer noch da. Davey entdeckte sie zuerst und sagte etwas zu Robbins. Ruckartig drehte der bullige Mann den Kopf, sah sie an, und sofort fiel sein Blick auf den Umschlag. Zum Glück war ihr die zweite Überweisung noch rechtzeitig eingefallen war. Sie nahm auf dem Beifahrersitz Platz und sagte: »Ich bin am Verhungern. Wo kann man hier etwas essen?«
»Ist die Überweisung durchgegangen?«, fragte Robbins.
»Ja, das habe ich Ihnen doch gesagt.«
»Ist das die Bestätigung?«
»Ja.«
»Ich will sie sehen. Geben Sie mir den Umschlag.«
»Hat Ihr Bruder Ihnen das erlaubt?«
Er wurde laut. »Sie hören jetzt besser auf, mich zu verarschen.«
Ava drehte sich zu ihm um. »Ich verarsche Sie nicht. Ich mache Geschäfte mit Ihrem Bruder und zeige das hier niemandem, bis er es mir sagt.«
Robbins funkelte sie an und schien zu überlegen, ob sie sich dem Captain gegenüber respektvoll oder ihm gegenüber zickig verhielt. »Ich rufe ihn an«, sagte er schließlich.
»Das wäre klug.«
Er stieg aus dem Wagen, lehnte sich an eine weiß verputzte Wand, und nahm das Handy zur Hand. Davey warf ihr einen Seitenblick zu, der so viel ausdrückte wie Seien Sie lieber vorsichtig. Ihr wurde klar, dass sie zum ersten Mal allein mit dem Fahrer war. »Weshalb trägt er eigentlich die Handschuhe?«, fragte sie ihn.
»Eklig, hm?«
»Schön jedenfalls nicht.«
»Nichts Abartiges, falls Sie das befürchten. Er hat diese Sache seit ein paar Wochen. Anfangs hat er gedacht, es wäre ein Ekzem. Es kommt und geht, aber diesmal ist es geblieben. Der Arzt meint, es ist eine Art Hautpilz. Er kriegt Medikamente, aber die Handschuhe muss er noch ein paar Tage tragen.«
»Seine Laune hat jedenfalls ziemlich darunter gelitten.«
»Ob mit oder ohne Handschuhe, Robbins ist immer schwierig.«
»Wie lange arbeiten Sie schon für ihn?«
Davey lachte. »Wie kommen Sie darauf, dass ich für ihn arbeite?«
»Ich bin davon ausgegangen.«
»Er hat seinen normalen Job und ich meinen. Das hier ist nur ein kurzer Gig. Eigentlich bin ich Seemann. Der Charterhafen hier ist der meistbefahrene der Karibik. In zwei, drei Tagen steche ich wieder in See. Wir gehen mit Hochzeitsreisenden auf Inselhopping-Tour.«
»Was ist denn Robbins’ normaler Job?«, erkundigte sie
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