Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Hilton von irgend nem Dahergelaufenen Shrimps aus dem Koffer kauft.«
»Jemand muss sie kaufen, sonst würden sie nicht mehr kommen«, entgegnete sie.
Er warf ihr einen Blick im Rückspiegel zu, um zu sehen, ob das ihr Ernst war. Ava verzog keine Miene.
»Das einzig Gute an Guyana ist, dass wir übrigen Kariben daneben richtig gut aussehen. Egal, was für krumme Dinger unsere Politiker drehen, wie viele Drogendealer wir haben oder wie hoch unsere Kriminalitätsrate ist, in Guyana ist es weit schlimmer.«
Port of Spain lag an der Karibischen See, aber während der Fahrt auf dem Highway in Richtung Stadt konnte sie das Meer nirgendwo entdecken. Sie kurbelte das Fenster herunter und lauschte. Nichts. »Wo ist das Meer?«, fragte sie.
Der Fahrer deutete nach links auf eine Reihe von scheinbar verlassenen Lagerhallen und Fabriken. »Hier dahinter.«
Rechts von ihr glommen schwach die Lichter von Häusern hinter einer hohen Ziegelmauer, die den Highway auf einer gut zwei Kilometer langen Strecke säumte. »Die Mauer der Schande«, sagte der Fahrer, als er ihr Interesse bemerkte.
»Es ist kein Lärmschutz?«
»Eher ein Sichtschutz. Dahinter liegt Beetham Estate, unser größter Slum. Da gibts wilde Siedler, Elendsquartiere, Menschen, die von Abfällen leben. Kein Ort, an den man sich verirren sollte. Die Regierung hat die Mauer gebaut, kurz bevor der Amerika-Gipfel hier abgehalten wurde, damit die ausländischen Würdenträger auf dem Weg in die Stadt den Anblick von Beetham nicht ertragen mussten. Das war einfacher und billiger, als etwas gegen den Slum zu unternehmen. Schön verstecken und so tun, als wäre er nicht da. Obwohl sich auch viele Taxifahrer beschwert haben. Hatte man früher auf diesem Teil der Strecke eine Panne, hatte man ratzfatz die Bestien von Beetham am Hals. Jetzt brauchen sie etwas länger.«
Sie näherten sich der Stadt, und Bürogebäude, Hotels und kleine Einkaufszentren schälten sich aus dem Dunkel. Die meisten befanden sich rechts vom Highway, auf der meerabgewandten Seite. Was ist das für ein seltsamer Ort? , dachte Ava. In Hongkong trieb das kleinste bisschen Meerblick die Immobilienpreise rasant in die Höhe. Hier schien man sich von der Karibischen See distanzieren zu wollen.
Der Chauffeur verließ den Highway, bog nach rechts ab und fuhr zügig einen Hügel hoch, über eine Reihe schmaler Straßen, die nur durch den Gehsteig von Häusern und Geschäften getrennt waren. Es war eine holperige Fahrt, denn viele bestanden aus Kopfsteinpflaster, und der Fahrer musste fast anhalten, um tiefe, v-förmige Gräben zu umfahren, die quer darüber verliefen.
Auf der Hügelkuppe ging die Straße in eine weite Fläche über, einen Park, den der Chauffeur umrunden musste. Ein Halbmond stand am Himmel, und nicht alle Straßenlaternen funktionierten, aber Ava staunte über die Größe und Vielfalt der Architektur. »Das hier ist der Savannah, der Queen’s Park Savannah«, sagte er mit Blick auf den Park. »Früher hab ich hier jeden Sonntag Kricket gespielt, aber jetzt komme ich nur noch zum Karneval her.«
»Was sind das für Gebäude?«, fragte Ava.
»Das ist die All Saints’ Church und das da drüben die amerikanische Botschaft.«
»Nein, die da hinten meine ich«, sagte Ava und deutete auf eine Reihe von Anwesen, die einem Londoner Viertel aus der Zeit Queen Victorias zu entstammen schienen.
»Wir nennen sie ›Magnificent Seven‹. Sie wurden vor über hundert Jahren von europäischen Geschäftsmännern erbaut, die sich gegenseitig übertrumpfen wollten. Das da hinten ist jetzt der Sitz des Präsidenten, über die anderen weiß ich nichts«, sagte der Chauffeur.
Schließlich erreichten sie das Hilton, das an den Savannah angrenzte und ganz in der Nähe der Royal Botanic Gardens lag. Die seltsame Bauweise des Hotels, das der Hanglage angepasst worden war, zeigte sich im Inneren des Hauses: Die Lobby im vorderen Gebäudeteil lag im Erdgeschoss, Avas Zimmer im hinteren Teil dagegen zwei Stockwerke tiefer. Abgesehen von den architektonischen Besonderheiten fand Ava sich in einem klassischen Hilton-Hotelzimmer wieder: sauber, gehobene Mittelklasse, verlässlich.
Sie bestellte beim Zimmerservice ein karibisches Bier und ein Club-Sandwich und rief in Hongkong an. Dort war es erst kurz nach zehn, und Onkel saß wie üblich beim Frühstück. »Ich bin in Trinidad. Morgen fliege ich nach Guyana weiter.«
»Wir haben da keine Beziehungen«, sagte er.
»Das hatte ich auch nicht
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