Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
erwartet.«
»Unser nächster Kontakt ist in Venezuela.«
»Ich komme schon zurecht.«
»Ava, wenn du Hilfe brauchst, rufe ich in Venezuela an.«
»Ich brauche keine Hilfe«, sagte sie. »In Georgetown steige ich im Phoenix Hotel ab. Ich weiß nicht, ob mein Handy da funktioniert, wenn du mich nicht erreichst, ruf mich im Hotel an. Ich weiß nicht, wie lange es dauern wird, also mach dir keine Sorgen, wenn du ein paar Tage nichts von mir hörst.«
»Und du bist dir sicher, dass er dort ist?«
»So sicher, wie man sein kann.«
»Gestern Abend habe ich meinen Freund getroffen. Wir waren beide bei der Massage, und ich konnte ihm nicht aus dem Weg gehen. Er hat erzählt, du hättest mit Tam telefoniert.«
»Er hat mich überrumpelt.«
»Tja, wir können nichts weiter tun, als das Projekt abzuschließen.«
»Wie viele habe ich nicht abgeschlossen?«
»Einige wenige … aber sie waren schon zum Scheitern verurteilt, bevor wir sie angenommen hatten.«
Bei einem früheren Fall hatte ein Klient mehr als eine Firma beauftragt, um das verlorene Geld wiederzubeschaffen. Zweimal hatte sie sich mit der Zielperson getroffen und sie mit viel Fingerspitzengefühl zu überzeugen versucht, das Geld zurückzugeben, als sich zwei der Konkurrenzfirmen einmischten, die zu allem bereit waren. Eine davon konnte Ava zum Rückzug bewegen, indem sie versprach, die Provision zu teilen. Die andere musste mit unsanfteren Methoden ausgeschaltet werden.
»Ist sonst noch jemand auf den Fall angesetzt worden?«
»Nein, nein, nein, nur wir. In der Hinsicht bin ich mittlerweile sehr vorsichtig.«
»Gut, dann gehe ich jetzt ins Bett. Ich muss morgen früh aufstehen.«
Ava duschte und setzte sich dann aufs Bett, um die Lokalnachrichten zu verfolgen. In der Titelstory wurde mit einer Mischung aus Schock und Stolz darüber berichtet, dass Trinidad maßgeblich am südamerikanischen Drogenschmuggel in die Vereinigten Staaten beteiligt war. Der Führer der Opposition, ein Schwarzer, bezichtigte vor laufender Kamera vier indische Kabinettsminister der Korruption. Anscheinend war es ihnen irgendwie gelungen, ein Privatvermögen von zehn Millionen Dollar anzuhäufen, obwohl sie ihr Leben lang Politiker gewesen und somit nie mehr als dreißigtausend Dollar im Jahr verdient hatten. Einer der Minister wurde vor einer örtlichen Schule um eine Stellungnahme gebeten. Er sah direkt in die Kamera und behauptete, an der Börse Glück gehabt zu haben.
Sie schaltete den Fernseher aus, legte sich hin und dachte an ihren bevorstehenden Aufenthalt in Guyana. Was immer sie dort erwartete, sie wusste nur, dass sie während ihrer Abstecher in das indische, chinesische und philippinische Hinterland auf ihre gewohnten Annehmlichkeiten verzichten musste. Keinen Zugang zu sauberem Wasser oder genießbarem Essen zu haben, war allerdings noch schlimmer. Sie hoffte, dass es nicht dazu kommen würde.
Und Seto: Bis jetzt war alles, was sie von ihm kannte, sein Passfoto, seine Stimme am Telefon und eine Adresse in einem ihr unbekannten Viertel, in einer Stadt und einem Land, in dem sie keinerlei Verbindungen hatte. Vielleicht war er bei ihrer Ankunft schon nicht mehr da. Oder Antonelli war zur Überzeugung gelangt, dass die 2,5 Millionen Dollar ein bisschen – oder eine Menge – Demütigung wert waren. Oder sie würde es nicht schaffen, an Seto heranzukommen. Aber wie oft ist das schon vorgekommen? , dachte sie. Nicht oft. Nie, um genau zu sein.
Es gab immer einen Weg, und letztlich hing alles davon ab, welches Risiko das Geld wert war. Belohnung und Risiko hielten sich nicht immer die Waage, doch Ava glaubte, pragmatisch genug zu sein, in dieser Hinsicht die richtige Wahl zu treffen. Aber fünf Millionen … eine Provision von 750 000 Dollar wäre eine hübsche Stange Geld, eine nette Belohnung.
16
N ach dem Weckruf um sechs kämmte Ava sich die Haare, putzte sich die Zähne und zog Trainingshose und T-Shirt an. Sie hob die Trinidad Tribune auf, die unter der Tür durchgeschoben worden war, und legte sie auf den Tisch beim Fenster. Dann schaltete sie den Wasserkocher ein und setzte sich hin, um Zeitung zu lesen.
Die Fernsehstory vom Vorabend wurde in der Tribune wieder aufgewärmt, mit Fotos der beschuldigten Kabinettsminister. Sie sahen aus wie aus dem Leim gegangene Mitglieder einer Kricketmannschaft. Ava blätterte weiter und las Artikel über die Besorgnis der Regierung, die steigende Kriminalität und die Suche nach einem neuen Polizeipräsidenten.
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