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Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)

Titel: Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Hamilton
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Ein Kanadier aus Calgary gehörte zu den Bewerbern. Sie hielt das für keine gute Idee. Wie sollte ein Kanadier die gesellschaftlichen Dynamiken und finanziellen Zwänge eines Landes wie Trinidad durchschauen?
    Bei der zweiten Tasse Kaffee teilte man ihr telefonisch mit, dass der Wagen bereit stand. In der Lobby wurde sie von einem anderen Chauffeur, wahrscheinlich einem Inder, begrüßt. Im Wagen fragte sie ihn, was er von den Korruptionsvorwürfen gegen die Minister hielt.
    »Die Schwarzen«, seufzte er, als erkläre das alles.
    Dann erkundigte sie sich nach dem Drogenhandel.
    »Solange die Drogen nicht hier bleiben, wen kümmerts? Könnte gut für die Wirtschaft sein.«
    Ava betrachtete die Stadt. Am Tag wirkten die Magnificent Seven fast heruntergekommen, die grelle Morgensonne enthüllte verblichene Farben, angeschlagenen Backsteine und schiefe Dachziegel. Auch der Savannah-Park hatte einiges von seinem Zauber eingebüßt. Es handelte sich nicht um eine Rasenfläche, sondern um nackten Erdboden, aus dem stellenweise Fingerhirse und Unkraut sprossen. Sie dachte an eine von Onkels Bemerkungen über ungeschminkte ältere Frauen im Morgenlicht, schob den Gedanken aber beiseite.
    Gemächlich fuhren sie über den Highway. Die Fabriken und Lagerhäuser waren jetzt weniger trostlos, doch Beetham Estate wirkte bei Tag noch schäbiger. An der Kreuzung, wo man zum Flughafen abbog, hielt der Wagen an einer roten Ampel. Plötzlich stürzte eine dürre, nackte Frau mit vor Schmutz und Unrat verkrustetem Körper, verfilztem Haar und Hängebrüsten auf das Auto zu und hämmerte mit den Fäusten auf die Motorhaube. Sie presste das Gesicht an Avas Scheibe und kreischte obszöne Verwünschungen. Erschrocken wich Ava zurück.
    »Keine Sorge«, sagte der Chauffeur. »Sie ist jeden Tag hier. Bloß eine Verrückte.«
    »Sie braucht Hilfe«, entgegnete Ava, immer noch geschockt.
    »Kein Geld, keine Hilfe. So läuft das in Trinidad. Gehen Sie mal nachts in die Innenstadt, da gibts massenhaft solche Leute. Vielleicht nicht ganz so irre, aber irre genug.«
    »Scheiße«, entfuhr es ihr.
    »Und wo fliegen Sie jetzt hin?«, fragte er und gab Gas, sodass sie sich von der Kreuzung und der schreienden Frau entfernten.
    »Guyana.«
    »Warum?«
    »Geschäftlich.«
    »In Guyana gibts nur krumme Geschäfte.«
    »Meine Geschäfte sind anders.«
    »Aber lassen Sie die Finger von Kool-Aid«, sagte er und lachte.
    »Wie?«
    »Kool-Aid – trinken Sie es nicht. Erinnern Sie sich an Jim Jones?«
    »Vage.«
    »Er war ein amerikanischer Prediger. Hat seine Kirche nach Guyana verlegt und dort eine Kommune gegründet. Ist ziemlich in die Hose gegangen.«
    »Wieso?«
    »Es gab Schwierigkeiten. Die ganze Gruppe hat vergiftetes Kool-Aid getrunken. Alle sind draufgegangen. Neunhundert Leute, vielleicht mehr. Hier witzelt man gerne, wenn man die Wahl zwischen Kool-Aid und einem Leben in Guyana hat, sollte man sich für Kool-Aid entscheiden.«

17
    A ls Ava aus dem Cheddi-Jagan-Flughafen trat, schlug ihr auch hier ein Schwall schwüler, übelriechender Luft entgegen, obwohl es erst Vormittag war. Sie hielt nach einem Schild mit ihrem Namen Ausschau. Ein Mann fiel ihr ins Auge, noch bevor sie sein Schild entdeckte: ein vereinzelter, blonder Weißer, der aus dem Meer der schwarzen und braunen Köpfe herausragte.
    Sie winkte ihm zu, und er schälte sich aus der Menge der Wartenden. Er trug braune Cargoshorts, weiße Kniestrümpfe und ein rotes Polohemd, auf dem über dem Herzen das Wort PHOENIX eingestickt war. Seine Bewegungen waren steif, die Knie berührten sich beinahe beim Gehen, und auch sein Oberkörper wirkte seltsam starr. Die Bizepse quollen ihm förmlich aus den Ärmeln, er hatte eine breite Brust und einen Stiernacken. Bodybuilder , dachte sie. Steroide.
    »Willkommen in Guyana«, sagte er und nahm ihre Taschen. Er hatte ein breites, fast manisches Grinsen im Gesicht und hellblaue, freundliche Augen.
    Mit gestreckten Ellbogen bahnte er ihr einen Weg durch die Menge und warf die Taschen auf den Rücksitz eines schwarzen Jeeps, auf dessen vier Türen jeweils ein goldener Phönix prangte. Sie vermutete, dass sie vorne sitzen sollte.
    Der Motor war noch an, die Klimaanlage bis zum Anschlag aufgedreht. Ava fröstelte und musste niesen. Einige ihrer schlimmsten Erkältungen hatte sie sich geholt, als sie aus schwüler Hitze in als Geschäfte getarnte Eisschränke getreten war. Als sie ihn bat, die Temperatur etwas zu erhöhen, sah er sie an, als hätte sie

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