Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
Robbins’ Sekretärin um Rückruf. Ava föhnte sich die Haare und zog sich an, während sie sich ihre Geschichte zurechtlegte und abwog, wie viel sie preisgeben konnte. Das war immer schwer zu entscheiden, wenn man mit einem Unbekannten zu tun hatte, besonders wenn er der mächtigste Mann von ganz Guyana war.
»Sie wünschen?«
»Hier spricht Ava Lee.«
»Einen Moment bitte, Ms. Lee.«
Robbins war fast sofort in der Leitung. »Robbins. Was kann ich für Sie tun?« Sein Akzent klang vertraut, aber anders als der guyanische.
»Mein Name ist Ava Lee. Ich fürchte, ich habe Sie unter einem leicht irreführenden Vorwand angerufen. Aber ich muss wirklich mit Ihnen sprechen, und man hat mir gesagt, Sie seien nicht gerade leicht zu erreichen.«
Am anderen Ende herrschte Schweigen.
»Ich bin übrigens eine ehemalige Schülerin des Havergal College und zurzeit geschäftlich in Georgetown, nicht in Toronto, obwohl das meine Heimatstadt ist. Bitte verzeihen Sie, dass ich zu solchen Mitteln gegriffen habe.« Sie fürchtete die ganze Zeit, er werde gleich auflegen.
»Woher haben Sie diese Nummer, Ms. Lee?«
»Ich habe im kanadischen Hochkommissariat um Hilfe gebeten, wo man mir mitgeteilt hat, ich müsste mit Ihnen reden.«
»Das ist äußerst ungewöhnlich. Was haben Sie denn für ein Problem, bei dem das Hochkommissariat Ihnen nicht weiterhelfen kann?«
Seine Stimme war volltönend und noch kultivierter als die seiner Sekretärin. Er sprach gemessen und voller Selbstvertrauen, als sei er völlig Herr der Lage.
»Ein geschäftliches Problem, bei dem es um eine nicht unbeträchtliche Geldsumme geht«, sagte sie, wobei sie das Zauberwort einfließen ließ.
»Und Sie sind der Ansicht, dass ich Ihnen helfen kann?«
»Man hat mir gesagt, wenn es jemand kann, dann Sie.«
»Anscheinend hält jemand zu große Stücke auf mich. Trotzdem, es wäre unritterlich, einer Besucherin aus Kanada nicht beizustehen, die vom Hochkommissariat an mich verwiesen wurde und obendrein eine ehemalige Havergal-Schülerin ist. In welchem Hotel wohnen Sie?«
»Im Phoenix.«
»Wir sollten diese Unterhaltung nicht am Telefon fortführen. Sind Sie heute Abend im Hotel?«
»Natürlich.«
»Ich schicke Ihnen jemanden vorbei. Er heißt Patrick West. Ich weiß nicht genau, wann er abkömmlich ist, also versuchen Sie wenn möglich, sich den ganzen Abend frei zu halten. Ich gebe ihm Ihre Handynummer, die Nummer des Phoenix Hotels kennt er bestimmt, sodass er Sie im Falle einer Planänderung kontaktieren kann.«
»Ich danke Ihnen sehr.«
»Ich kann Ihnen nichts versprechen, aber Patrick ist ein zuverlässiger Mann und sehr findig. Er genießt mein volles Vertrauen, Sie können offen sprechen.«
Gott, bin ich gut , dachte sie, nachdem er aufgelegt hatte. Der Nachmittag würde sich hinziehen, und so beschäftigte sich Ava bestmöglich. Sie nahm ein Taxi und schlenderte eine Stunde ziellos über den Stabroek Market. In der Nähe des Marktes entdeckte sie einen Buchladen. Er führte zwar fast nur gebrauchte Bände, doch sie fand eine Ausgabe von Tai-Pan , James Clavells historischem Roman über die Gründerzeit von Hongkong.
Obwohl Ava hungrig war, schreckte sie vor weiteren Experimenten mit der einheimischen Küche zurück. Der Buchhändler empfahl ihr die Kentucky-Fried-Chicken-Filiale gleich um die Ecke. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt Brathähnchen gegessen hatte, aber zumindest konnte man dabei nicht allzu viel verkehrt machen.
Als sie ins Hotel zurückkam, saß Jeff in der Lobby und winkte ihr zu. Allmählich wurde er lästig.
»Kommen wir heute ins Geschäft?«, fragte er.
»Ich muss noch ein paar Dinge hier im Hotel erledigen. Sie könnten mir allerdings helfen.«
»Was soll ich tun?«
»Fahren Sie nach Malvern Gardens, und haben Sie ein Auge auf Jackson Seto. Diesmal müssen Sie woanders parken, damit niemand Verdacht schöpft. Vielleicht fahren Sie am Eingang vorbei, wenden und parken etwa hundert Meter weit weg in Richtung Georgetown. Dann bemerken sie Sie nicht, falls sie wieder wegfahren.«
»Und falls sie wegfahren – soll ich ihnen folgen?«
»Nur, wenn Sie es für sicher halten. Wahren Sie Abstand. Es gibt sowieso nicht viele Orte, wo er hinfahren kann.«
»Soll ich Sie anrufen, wenn sich was tut?«
»Natürlich. Benutzen Sie meine guyanische Nummer.«
Ava überprüfte ihre E-Mails, bevor sie nach oben ging. Immer noch keine Antwort von Seto. Ihr Ersatz-Handy war voll aufgeladen. Sie gab die guyanische
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