Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
halten mich nicht für unhöflich.«
»Worum gehts denn?«
»Haben Sie heute Morgen nur gesagt, dass Sie lesbisch sind, weil Sie mich auf Abstand halten wollten?«
»Das war die reine Wahrheit, Marc.«
»Ich glaube Ihnen ja«, sagte er. »Die Sache ist nur, Homosexualität ist in Guyana gesetzlich verboten. Genau genommen kann man dafür lebenslänglich bekommen. Ich habe zwar noch nie von einer Verurteilung gehört, doch das Gesetz ist weiterhin in Kraft. Und Zuneigungsbekundungen zwischen Menschen desselben Geschlechts sind verpönt.« Unbehaglich schwieg er. »Ich will mich nicht in Ihr Leben einmischen, aber Sie müssen hier vorsichtig und zurückhaltend sein.«
»Ich hatte nicht vor, in Lesbenbars zu gehen«, sagte sie.
»Gut, es gibt hier sowieso keine.«
»Danke. Genug gesagt.«
Ava lenkte die Unterhaltung wieder auf seine Kinder. Sie waren alle im Teenageralter und entfernten sich immer mehr von ihm. Während sie zuhörte, wie er sich darüber beklagte, wurde ihr klar, dass er nicht die geringste Ahnung von Mädchen hatte. Gerade, als sie ihm ein paar Ratschläge geben wollte, klingelte ihr guyanisches Handy.
»Hi, Jeff«, sagte sie.
»Er hat vor etwa anderthalb Stunden das Haus verlassen, ist erst essen und später feiern gegangen – dreimal dürfen Sie raten, wo.«
»So wie gestern Abend.«
»Er ist ein Gewohnheitstier.«
»Gut. Machen Sie Schluss für heute.«
»Was haben Sie jetzt noch vor?«, fragte er mit einem fast unmerklichen Zögern in der Stimme.
»Ich sitze mit einem Freund aus dem kanadischen Hochkommissariat beim Essen, danach treffe ich mich mit einem guyanischen Regierungsbeamten. Wir sehen uns morgen, dann regeln wir das Finanzielle.«
Aus dem Augenwinkel sah sie den Oberkellner warten. »Unten warten ein paar Leute auf Sie«, sagte er.
»Bitte rufen Sie an, und sagen Sie, ich bin gleich da, und bringen Sie mir bitte die Rechnung.«
»Ich lade Sie ein«, widersprach Lafontaine.
»Nein, tun Sie nicht. Sie haben heute weiß Gott schon genug für mich getan.«
Während sie auf die Rechnung warteten, sagte Lafontaine: »Ein paar Leute? Ich dachte, Sie wollten sich nur mit einem Mann treffen.«
»Das dachte ich auch.«
»Hätten Sie etwas dagegen, wenn ich Sie nach unten begleite?«
»Im Gegenteil.«
In der Lounge saßen drei Personen: zwei kräftige Schwarze, die aussahen, als wären sie direkt aus dem Fitnessstudio in ein Fotoshooting für das Esquire -Magazin gestolpert, und ein sehr blasser, korpulenter Mann mit verschmitztem Lächeln und einem Funkeln in den tiefblauen Augen.
»Himmel, das ist Robbins«, bemerkte Lafontaine.
Die drei Männer standen auf, als Ava und Lafontaine sich näherten, und sie erschrak fast vor Robbins’ imposanter Gestalt. Seine Begleiter waren beide ziemlich groß, aber Robbins’ kurzgeschorener Kopf überragte sie noch um Haupteslänge. Sein Bauch wölbte sich unter einem schwarzen Satin-Hemd, das über eine schwarze Jeans hing; er hatte ein rundes Gesicht mit Hängebacken. Sein schwerer Körperbau ließ ihn, wenn möglich, noch bedrohlicher wirken. Und seine Haut erst – sie war weiß wie Papier. In einem Land, in dem fast alle dunkelhäutig waren, wirkte er beinahe wie ein Gespenst.
Als ihre Blicke sich trafen, sah er sie unverwandt an.
»Ah, Sergeant Lafontaine«, sagte Robbins, wobei er Ava nicht aus den Augen ließ. »Sie haben also Ms. Lee meine Telefonnummer gegeben.«
»Captain.«
»Was soll ich davon halten, dass Sie uns diese junge Frau auf den Hals gehetzt haben?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Woher auch? Schauen Sie sie nur an: eine Havergal-Absolventin, winzig, kultiviert, ein chinesisches Püppchen. Aber dann … Ach, wie unhöflich von mir. Das sind Patrick und Robert«, sagte er und deutete auf seine Männer. »Ich fand, Sie sollten sie kennenlernen«, fügte er an Ava gewandt hinzu, »um ehrlich zu sein, waren sie ganz versessen darauf.«
»Mr. Lafontaine, eigentlich sollte sich nur Patrick mit Ms. Lee treffen, aber nach allem, was heute passiert ist, musste ich sie unbedingt persönlich treffen. Robert, warum erklärst du das Ganze nicht?«
»Ich bekam heute einen Anruf von der Polizei, die zwei Männer an der Ufermauer aufgegriffen hatte«, erzählte Robert. Robbins unterbrach ihn. »Anscheinend sind die zwei einer jungen chinesischen Joggerin über den Weg gelaufen. Beide sind uns nicht gerade als unbescholtene Bürger bekannt. Ein paar minderschwere Diebstähle, ein paar ernstere, nie bewiesene
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