Die Wasserratte von Wanchai / eBook (German Edition)
sie.
Der Pilot steckte den Kopf durch die Tür. »Der Flug dauert etwa zweieinhalb Stunden. Zehn Minuten nach dem Start schalte ich das Anschnallzeichen aus. Vorne gibt es eine Bordküche mit Getränken und Snacks. Bedienen Sie sich.«
Für den Notfall hatte sie zwei Flaschen mit Wasser und zwei mit Cola eingepackt. »Auch Alkohol?«, fragte sie.
»Eine Auswahl.«
»Wunderbar.«
Seto lehnte sich mit geschlossenen Augen ans Fenster. Die Maschinen sprangen an, und das Flugzeug rollte zur Startbahn. Ava wappnete sich, als es beschleunigte, atmete tief ein, als sie abhoben, während die Lichter von Georgetown schwach in der Ferne glommen. Nach all den Hindernissen, die sich ihr dort in den Weg gestellt hatten, verlief ihr Abflug fast zu reibungslos.
Sie wartete eine Stunde, bevor sie Seto störte. Er lehnte noch immer mit geschlossenen Augen am Fenster. Ob er schlief, wusste sie nicht, es war ihr zudem egal. Sie streckte ein Bein aus und gab ihm einen Tritt. Ganz langsam öffnete er die Augen. Es wirkte gezwungen – er war die ganze Zeit wach gewesen.
»Ich habe Ihnen ein paar Dinge zu sagen«, erklärte sie. »Setzen Sie sich auf, und hören Sie gut zu.«
»Scheiße«, sagte er, drehte den Kopf und schüttelte sein Bein.
»Nach der Landung nehme ich Ihnen die Handschellen ab, bevor wir von Bord gehen. Ein alter Freund von mir wird uns direkt an der Landebahn abholen. Er ist taff, brutal und mir völlig ergeben. Ein falsches Wort, eine falsche Bewegung, und er schaltet Sie aus. Wir haben vor, den Zoll und die Einwanderungsbehörde ruhig und friedlich zu passieren. Ich möchte, dass Sie laufen, aber wenn wir Sie tragen müssen, werden wir es tun. Verstanden?«
»Habs kapiert.«
»Morgen geht es so weiter. Sie und ich haben einen Termin mit Jeremy Bates in der Bank. Wir werden Andrew Tam das Geld überweisen, das Sie ihm gestohlen haben. Die Details gehe ich morgen früh mit Ihnen durch. Sie brauchen nur mitzumachen, und morgen Abend sitzen Sie schon wieder im Flugzeug nach Guyana, oder wohin Sie sonst wollen.«
»Das habe ich ebenfalls verstanden. Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich es zurückgeben wollte«, sagte er.
»Ja, ich weiß. Vielleicht glaube ich Ihnen sogar.«
»Können Sie mir die Handschellen jetzt nicht abnehmen? Was zum Teufel kann ich in der Luft schon anstellen?«
»Nicht so hastig«, sagte sie. »Wie wärs, wenn ich Ihnen erst mal was zu trinken spendiere? Möchten Sie einen Drink?«
»Gern.«
»Was darfs denn sein?«
»Schauen Sie nach, ob es Scotch gibt.«
Ava ging zur Bordküche. Die Bar war besser ausgestattet als die Lounge des Phoenix. Es gab drei Sorten Scotch: Johnnie Walker Red, Black und Blue – der beste. »Sie haben Johnnie Walker Blue«, informierte sie ihn.
»Ich trinke ihn pur.«
Ava kam zurück in die Kabine. »Ich bringe ihn sofort. Zuerst muss ich auf die Toilette.« Sie holte ihre Tasche unter dem Sitz hervor und ging in den Waschraum. Auf dem Rückweg blieb sie kurz in der Bordküche stehen und stellte eines der Hundert-Milliliter-Fläschchen mit Chloralhydrat auf die Anrichte. Sie schenkte sich einen kleinen Cognac ein, einen Remy Martin V . S . O . P ., Setos Glas füllte sie zu einem Viertel mit Blue Label. Sie nahm beide Gläser mit und hielt ihm den Whiskey an die Lippen. Er trank gierig. »Jetzt nehmen Sie mir endlich die Handschellen ab.«
»Noch nicht.«
»Kommen Sie schon.«
»Es tut mir leid, aber es muss sein. Ich kann kein Risiko eingehen.«
Wieder hielt sie ihm das Glas an die Lippen. Gleich darauf war es leer. »Möchten Sie noch einen?«, fragte sie.
»Warum nicht?«
In der Bordküche gab sie die Hälfte ihres Spezial-Fläschchens in sein Glas und füllte es mit Johnnie Walker auf. Es sah aus wie normaler Scotch. Sie schnupperte daran. Es roch auch so.
Seto saß jetzt aufrecht. Der Alkohol schien ihm neues Leben eingehaucht zu haben.
»Schön langsam«, sagte sie. »Nicht, dass Sie betrunken vom Sitz kippen.«
»Ich kann einiges vertragen.«
Trotzdem folgte er ihrem Rat: Diesmal dauerte es etwa zehn Minuten, bis er das Glas geleert hatte.
In der Bordküche füllte sie es erneut mit Chloralhydrat und Scotch. Als sie zurück in die Kabine kam, sah er sie mit glasigem Blick und einem dümmlichen Grinsen an. Sie überlegte, ob die zweite Dosis vielleicht unnötig war. Ach, was solls? Warum etwas verschwenden ? Zu ihrem Erstaunen leerte er auch das dritte Glas, bevor er vornüber kippte. Ava drückte ihn zurück an die Sitzlehne.
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