Die wehrhafte Braut: Roman (German Edition)
sicher für die nächste Zeit keine weiteren Freiheiten erlauben. Diese Hoffnung tröstete sie ein wenig, doch es gelang ihr dennoch nicht, in erholsamen Schlaf zu gleiten, denn die lästigen Traumbilder wollten nicht verschwinden. Immer wieder tauchte Ewan vor ihr auf, der herausfordernde Blick seiner graublauen Augen, das Spiel der breiten Muskelstränge auf seinem bloßen Rücken, seine gewandten Sprünge und seine festen, sehnigen Schenkel, mit denen er das Pferd lenkte. Kaum dass der Morgen graute, trat die alte Caja in die Kemenate, um die beiden Mädchen. zu wecken. Rodena, die gerade ein wenig Schlummer gefunden hatte, drehte sich unwillig auf die Seite, doch Fiona sprang hellwach von ihrem Lager auf und begann, sich mit Cajas Hilfe anzukleiden. Der Geruch von Feuerrauch zog durch das kleine Fenster in die Kemenate, gleich darauf mischte sich der Duft von Hafergrütze und frischen Nussküchlein darunter – unten im Hof hatten die Mägde begonnen, die Mahlzeit zu richten.
»Rodena – steh endlich auf, und flechte mir das Haar!«, befahl Fiona ärgerlich. »Wenn Caja es tut, schaue ich aus wie ein gerupftes Huhn.«
Es half nichts – sie musste den Wunsch ihrer Schwester erfüllen, denn sie wollte nicht ganz und gar im Streit von ihr scheiden.
Wenig später saßen sie an der langen Festtafel, die zu Fionas Ehren mit Blumen und grünen Zweigen geschmückt war. Es war Lärm in der großen Halle, Mägde und Knappen liefen schwitzend umher, um die Ritter mit Met und Wein zu versorgen. Männer tranken auf das Wohl der jungen Braut, Frauen hielten ihre quengelnden Kinder und Säuglinge auf dem Schoß, und weit unten an der Tafel drängten sich die Fuhrleute, die sich für die Reise mit Speis und Trank stärkten. Haferbrei und gesottenes Fleisch wurden gereicht, Gemüse und eingelegte Früchte, dazu süße Küchlein mit Honig und Nüssen.
Alister, der auf seinem angestammten Platz oben an der Tafel saß, schien an diesem Morgen hochzufrieden, was nur selten der Fall war. Wohlgefällig betrachtete er seine reich geschmückte Tochter und schärfte ihr ein, niemals zu vergessen, dass sie einem bedeutenden und mächtigen Clan angehöre und ihrem Ehemann ebenbürtig sei.
»Deine Mutter hat mir nur Töchter geboren – du wirst es besser machen und Keith MacDonald Söhne schenken!«, bemerkte er und hob den Becher, um ihr zuzutrinken.
An Rodena richtete Alister kein einziges Mal das Wort, er übersah sie, wie er es immer tat. Rodena war Duncans Tochter, er duldete sie an seinem Hof, denn es hätte keinen guten Eindruck gemacht, wenn er die Tochter seines Vorgängers verstoßen hätte. Es war ihm jedoch herzlich gleichgültig, was Rodena tat, ob sie krank oder gesund war, schön oder hässlich, und ihre Gewohnheit, sich wie ein Mann zu kleiden, ließ ihn nur mit den Schultern zucken. Der Einzige, der sich hin und wieder Rodena zuwandte und ihr einen freundlichen oder forschenden Blick zuwarf, war Roger de Brionne, der alte Kampfgefährte ihres Vaters.
So blieb Rodena genügend Muße, ihre Augen über die lange Tafel wandern zu lassen und nach einer ganz bestimmten Person Ausschau zu halten. Ewan saß nicht bei den Rittern, die in der Nähe des Clan Chiefs ihre Plätze hatten und sich eifrig mit gesottenem Fleisch und süßen Honigkuchen bedienten. Auch weiter unten, wo der Schreiber, der Priester und einige andere Hofleute hockten, konnte sie ihn nicht erspähen. War er gar nicht an der Tafel erschienen? Hatte Roger de Brionne seinem Schüler verboten, sich dazu zu gesellen? Rodena hatte die Hoffnung schon aufgegeben, da erblickte sie Ewan endlich weit unten zwischen den Fuhrleuten, wo er schweigsam und mit düsterer Miene an einem Stück Haferbrot kaute. Deutlich war eine breite Schramme auf seiner linken Wange zu sehen, und Rodena war im ersten Moment etwas erschrocken. Doch sie beruhigte sich rasch – er hatte sich diese Strafe redlich verdient.
Schon bald drängten die Fuhrleute zum Aufbruch, denn man wollte bis zum Abend die Landesgrenze erreichen. Die Wagen wurden angespannt, die Ritter, die den Brautzug begleiten und schützen sollten, bestiegen ihre Pferde, und eine Anzahl Maultiere, die Lasten und Vorräte für die Reise trugen, beendeten den langen Zug.
Der Abschied von Fiona war kühl, denn die glückliche Braut war ganz und gar mit sich selbst beschäftigt. So blieb Rodena nur kurze Zeit auf dem Hof stehen, um den Davonziehenden nachzuschauen, dann hatte sie das Gefühl, in dem Gewimmel der Leute
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