Die wehrhafte Braut: Roman (German Edition)
schließlich sorgenvoll nach ihm fragte, erfuhr sie, dass er schon beim ersten Morgenlicht in die Heide hinausgeritten war. Sie war empört – hatte er nicht gestern noch versprochen, diesen Morgen wieder mit ihr zu üben? Er versteckte sich also vor ihr, dieser Feigling.
Enttäuscht lief sie allein hinter die Scheune und begann ihre Schießübungen, die, trotz der vorausgesagten Schmerzen in den Armen, recht zufriedenstellend verliefen. Sie erntete sogar Beifall von den kleinen Knappen, die sich neugierig um sie versammelt hatten, und einer von ihnen, der kleine Rotschopf Melwin, flüsterte vernehmlich, dass die Lady heute ganz besonders hübsch gekleidet sei.
Ärgerlich spürte sie, wie sie errötete, und sie stellte für heute die Übungen ein, zumal ihr Kopf immer noch schmerzte. Den Rest des Vormittags beschäftigte sie sich damit, Caja beim Trocknen der frischen Heilkräuter zur Hand zu gehen. Und zur allergrößten Überraschung der alten Frau griff sie sogar zu einer Stickerei, die sie irgendwann in trüber Winterzeit begonnen und, wie üblich, nicht zu Ende geführt hatte. Während sie sich über die Handarbeit beugte und ohne viel Begeisterung die Nadel führte, grübelte sie über Ewan nach. Weshalb hatte er sie eigentlich gebeten, den Überfall geheim zu halten? Hatte er Furcht, dass Alister ihm vorwerfen könnte, sich mit seiner Schutzbefohlenen allzu weit von der Burg entfernt zu haben? Nein, dachte sie. Es hat einen anderen Grund. Diese Burschen waren die Söhne armer Pächter, die beschlossen hatten, ihren Zorn an den Rittern der Burg auszulassen. Ewan hat mich zwar verteidigt, doch im Herzen ist er auf der Seite der Pächter, und er will nicht, dass Allster seine Ritter zu einer Strafaktion in die Dörfer und Hütten schickt.
Sie bereute inzwischen, geschwiegen zu haben. Diese aufmüpfigen Burschen hatten es gewagt, einen Ritter und eine Lady anzugreifen, und Alister hatte alles Recht der Welt, sie dafür zu bestrafen. Wo käme man denn hin, wenn die Pächter den Laird und seine Ritter nicht mehr achteten?
Das würde sie Ewan klarmachen. Diesem Feigling, der sie so leidenschaftlich geküsst und berührt hatte, als er sie ohnmächtig glaubte, und der nun ganz offensichtlich vor ihr davonlief.
Sie stieß einen kleinen Schmerzenslaut aus, denn sie hatte sich mit der Nadel in den Finger gestochen. Aufseufzend warf sie das Tuch zur Seite und lutschte an ihrem Finger.
Es ist doch völlig klar, dass er vor mir davonläuft, überlegte sie. Er ist der Sohn eines Pächters und kann vorerst nicht wagen, um mich anzuhalten. Aber eines Tages wird er ein Ritter sein, und ich werde auf ihn warten. Solange ich lebe, will ich keinen anderen als Ewan zum Ehemann nehmen.
Aber wie sollte sie ihm das erklären, wenn er nicht einmal wagte, ihr seine Liebe zu gestehen?
Ich muss ihn an einem Ort treffen, wo wir miteinander allein sind, beschloss sie. Dort werde ich ihn zur Rede stellen und wenn er nicht ein ganz schrecklicher Hasenfuß ist, wird er sich erklären. Dann werde ich ihm sagen, dass er auf meine Liebe vertrauen kann.
Sie stellte sich vor, wie Ewan sie voller Leidenschaft an sich riss und sie seinen mächtigen Körper ganz dicht an dem ihren spürte, seine Hände, die ihre Kleider abstreiften, sein heißer Mund, der ihre Lippen auseinanderdrängte... Wie schade, dass sie nicht wirklich eine Fee war, dann würde sie ihn mit ihrem Zauberbann belegen, und er müsste für immer bei ihr bleiben.
Aber dazu müsste sie ihn erst einmal haben.
Kopfschmerzen oder nicht – sie beschloss, auszureiten und ihn zu suchen, denn auf der Burg gab es wenig Gelegenheit, mit ihm allein zu sprechen. Ohne auf Cajas Schelten zu achten, kleidete sie sich wieder in das Männergewand, nahm Bogen und Köcher an sich und lief aus der Kemenate.
»Wann willst du diese Stickerei eigentlich beenden?«, schimpfte Caja hinter ihr her.
»Wenn ich verheiratet bin!«, schallte die Antwort zurück.
»Wenn du so weitermachst, wird das wohl niemals sein!«
Es war schon am Morgen trüb und dunstig gewesen, jetzt verhüllten weißliche Nebel Heide und Kiefernwald, und zu allem Überfluss begann es zu nieseln. Rodena trieb die Stute durch die Heide bis zum Waldrand, wo die alten Kiefern wie Gnome mit langen, knotigen Armen aus dem Nebel hervortraten. Obgleich sie das Plaid über die Schultern geworfen hatte, war sie bald vollkommen durchnässt, denn der Regen wurde immer dichter. Ärgerlich schnaubte die Stute, die bei diesem Wetter
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