Die weise Frau
mich.«
Alys drehte ihm ihr blasses, freudloses Gesicht zu. »Ich muß auf dich warten«, sagte sie ungnädig. »Ich weiß nicht, wohin ich sonst gehen soll. Ich liebe dich.«
Er strahlte bei diesen Worten, aber in Alys' Miene war keine Spur von Freude zu sehen. »Anscheinend bin ich auch nur eine Frau wie jede andere«, sagte sie verbittert. »Weder deine Schwüre noch meine Magie haben mich vor diesem Schmerz bewahrt.«
»Mein Schatz...«, begann er und zog sie enger an sich. Da öffnete sich die Tür über ihnen auf der Treppe, und er ließ ihre Hand los und ging ohne ein weiteres Wort. Alys schaute ihm nach, und ihre Leidenschaft war so heftig, daß sie an Haß grenzte.
In dem langen Monat seiner Abwesenheit schrieb er jede Woche seinem Vater, Alys mußte die gekritzelten Briefe vorlesen. Er schrieb über die Handelsgesellschaft seines Freundes — Van Esselin und Sohn — und ihre Expansionspläne. Er schrieb von Lord Newcastles Sohn und wilden Nächten in den Docks. Er schrieb gut, und der alte Lord und Alys lachten manchmal mitten im Brief, wenn Hugo einen Kampf schilderte, der im Fluß Tyne endete, oder einen Schausteller an der Straßenecke mit einem Tanzbär. Seine Briefe ließen ihn in Alys' Bewußtsein aufleben, und sie sehnte sich danach, die Geschichten aus seinem Mund zu hören und dieses plötzliche Lächeln zu sehen, und wie es sein dunkles Gesicht erhellte. Sie vergaß die Wochen der Sehnsucht und der Suche nach ihm. Sie vergaß den sauren Geschmack abgestandener Begierde und die Leidenschaft, die dem Haß glich und nicht der Liebe. Statt dessen lachte sie mit seinem Vater und dachte — unbewußt -,»wenn er und ich verheiratet wären, dann wäre es immer so.«
Der alte Lord wischte sich dann immer die Tränen ab und bat Alys, den Absatz noch einmal zu lesen, und dann lachte er wieder. »Er ist ein Schuft«, rief er. »Aber es gibt keinen auf der Welt, der ihm widerstehen könnte! Findest du nicht auch, Alys?«
Und Alys, allein im Turmzimmer mit dem Vater des Mannes, den sie liebte, lehnte sich dann im Stuhl zurück und nickte. »Unwiderstehlich«, sagte sie.
Der alte Lord zog sie an einer der Locken, die sich aus ihrer Haube gestohlen hatten. »Bist du immer noch scharf auf ihn?« fragte er.
Alys nickte, drehte sich ihm zu und lächelte. »Ich liebe ihn«, sagte sie. »Und er liebt mich.«
Der alte Lord seufzte mitleidig. »Er muß seinen Erben haben«, sagte er behutsam.
»Ich weiß«, sagte Alys. »Aber wir können uns lieben.«
»Vielleicht«, sagte der alte Lord, der ein Leben von Hurerei, Lieben und Kämpfen hinter sich hatte. »Vielleicht für eine Zeit.«
Catherine bekam ebenfalls Briefe. Er erkundigte sich jede Woche nach ihrer Gesundheit und erzählte ihr kurzweilige Anekdoten aus Newcastle.
»Ich kenne den wahren Hugo«, flüsterte sich Alys immer insgeheim zu, wenn Catherine seine Briefe ihrem Kreis von Hofdamen vorlas. »Ich weiß, was er in jener Nacht wirklich gemacht hat, von der er Catherine erzählt, sie wären segeln gegangen und dann früh zu Bett. Die Wahrheit schreibt er seinem Vater, und er weiß, daß ich seine Briefe lesen würde, seine wahren Briefe. Catherine kennt ihn nicht, nicht so wie ich ihn kenne.«
Alys war in den langen, kalten Tagen von Hugos Abwesenheit glücklicher. Sie konnte nachts schlafen, ihr Schlaf war so fest und tief, daß sie es kaum ertragen konnte, morgens aufzuwachen. Sie träumte, Hugo wäre zu Hause und sie würde Catherines creme- und rosafarbenes Kleid tragen, sie würde an Hugos Arm durch den Garten spazieren, und es wäre Sommer, Hochsommer, und der Himmel würde auf sie beide herunterlachen. Sie träumte, sie würde in Catherines großem Bett schlafen, in Hugos inniger, besitzergreifender Umarmung. Sie träumte, sie würde auf Hugos Handelsschiff mit den hohen Masten segeln, bis an den Rand der Welt segeln, mit Hugo am Steuer, Hugo, der mit ihr lachte, die Augen zusammengekniffen gegen das gleißende Sonnenlicht auf den langen, rollenden Wogen. Sie träumte, sie würde Catherines Platz am hohen Tisch in der großen Halle einnehmen, und Hugo würde ihr den Stuhl zurückziehen, weil sie hochschwanger war. Alle ihr zugewandten Gesichter lächelten. Sie jubelten ihr zu, weil sie den Erben unter ihrem Herzen trug. Und beim Erwachen hörte sie sie rufen: »Lady Alys!«
Catherine war während Hugos Abwesenheit glücklich und sehr beschäftigt. Die Schwangerschaft ließ seine Frau erblühen. Sie war bester Laune und lachte und sang
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