Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
Vom Netzwerk:
schönes neues Haus. Es sollte Fenster haben, keine Schießscharten. Es sollte Kamine haben und in jedem Zimmer eine Feuerstelle. Er hätte die Männer Fundamente graben lassen, aber keiner konnte auch nur ein Messer in den gefrorenen Boden treiben. Statt dessen machte er Vermessungen, zeichnete alles auf, zeigte es David und diskutierte über Küchen, die Backstube, die notwendige Anzahl von Zimmern und die beste Aussicht. Wenn er dann in die Burg schritt, nachmittags, wenn die Winternacht sich übers Land senkte, flatterten alle Damen auf wie Hühner in der Scheune, wenn der Fuchs sich anschleicht. Hugo ließ seine dunklen, lachenden Augen über alle schweifen und nahm sich dann eine für ein paar Minuten rauher Lust in einer dunklen Türnische. Selten nahm er sich dieselbe zweimal, wie Alys sah. Er tat ihnen nie wissentlich weh oder spielte die verrückten, grausamen Spiele wie mit seiner Frau. Er holte sich seine Befriedigung und schickte sie dann weg.
    Und sie liebten ihn dafür. »Er ist ein Schuft!«, »Ganz der alte Lord!«, »Er ist ein echter Mann!« hörte sie sie sagen. Einmal streckte er mit einem fragenden Lächeln die Hand nach Alys aus. Alys hatte einfach durch ihn hindurch geschaut, ihr Gesicht abweisend wie gefrorener Stein, und er hatte kurz gelacht und sich abgewandt. Hugo hatte sie nicht mehr im Blut — es gab zu viele Ablenkungen. Er kam nie in ihre Kammer, wenn Catherine schlief — Alys hatte es auch nie erwartet. Sie hatte ihre Leidenschaft aufs Spiel gesetzt und ihn verloren und ihre Leidenschaft ebenfalls.
    Alles, was sie jetzt noch hatte, war die quälende Gewißheit, daß sie ihn brauchte auf einer Ebene, die tiefer ging als bloße Lust. Er aber hatte sie so mühelos verdrängt, daß sie das Gefühl hatte, ihre Macht — über ihn, über sich selbst, über sie alle — würde unaufhaltsam schwinden.
    Eines Tages hing der Kristall schwer und reglos da wie ein Bleigewicht, als sie die Hand auf die Brust des alten Lords legte.
    »Hast du deine Kräfte verloren, Alys?« fragte er in scharfem Ton, die dunklen Augen weit geöffnet.
    Alys begegnete ungerührt seinem Blick. »Ich glaube ja, Mylord «, sagte sie, kalt bis ins Mark. »Ich kann das, was ich begehre, nicht erlangen, und ich kann nicht lernen, es nicht zu begehren. Ich habe keine Lust auf irgend etwas. Jetzt scheint es, daß ich auch keine Fähigkeiten mehr habe.«
    »Warum das?« fragte er kurz, er hatte Schwierigkeiten beim Atmen.
    »Hugo«, sagte Alys. »Er wollte, daß ich eine gewöhnliche Frau werde, ein Mädchen zum Lieben. Jetzt bin ich so gewöhnlich, daß er mich gar nicht mehr sieht. Ich habe meine Macht aus Liebe zu ihm weggeworfen, und jetzt habe ich weder Macht noch Liebe.«
    Das krächzende Lachen des alten Lords endete mit Husten und keuchen. »Dann hol mir Morach«, sagte er. »Morach soll mich statt deiner pflegen. Catherine vertraut ihr in allem. Sie ist eine große Heilerin, unheimlich, was sie von Kräutern versteht.«
    Alys nickte mit verkniffenem Gesicht. »Wie Ihr wünscht«, sagte sie.
    Der alte Lord benutzte sie noch immer als Sekretär, aber während seiner Krankheit, während der Fastenzeit gab es nur wenig zu schreiben. Aber dann, an einem Mittwoch nach Ostern, saß Alys am breiten Erkerfenster der Damengalerie und sah ein halbes Dutzend Brieftauben von Süden heranfliegen, die das Schloß entschlossen einmal umkreisten und dann, wie ein Schwarm träger Pfeile, die Taubenschläge auf dem Dach des Rundturms ansteuerten. Das bedeutete dringende Nachrichten aus London. Alys machte rasch einen Knicks vor Catherine und verließ die Damengalerie. Sie traf vor Lord Hughs Zimmer ein, als der Bote gerade mit dem winzigen Stück Papier vom Dach des Turmes herunterkam. Alys folgte ihm in Lord Hughs Zimmer.
    »Soll ich vorlesen?« fragte Alys.
    Lord Hugh nickte.
    Alys rollte das kleine Papier auf. Es war lateinisch geschrieben. »Ich verstehe es nicht«, sagte Alys.
    »Lies vor«, sagte Hugo.
    »Da steht: Am Osterdienstag hat der spanische Gesandte eine Einladung zum Essen mit der Königin verweigert. Der König hat die Messe mit ihm gefeiert, und dem Bruder der Königin wurde befohlen, sich ihm anzuschließen.«
    »Ist das alles?«
    »Ja«, sagte Alys. »Aber was bedeutet das?«
    »Das heißt, daß die kleine Boleyn gestürzt ist«, sagte Lord Hugh ohne eine Spur von Reue. »Gepriesen sei der Herr, daß ich mit den Seymours befreundet bin.«
    Er schloß die Augen. Alys beobachtete sein hartes, mitleidloses Gesicht

Weitere Kostenlose Bücher