Die weise Frau
ihren Aufbruch ohne Ankündigung und Genehmigung. Beide waren blaß und still, als sie aus dem Schloßtor trabten. Alys hatte auf einer Seite einen Spaten an den Sattel gebunden, und an der Satteltasche war ein Sack festgezurrt, der sich bauschte und bewegte. Die Ponys waren den ganzen Weg durch die Stadt sehr unruhig, scheuten vor Schatten und warfen ihre Köpfe. Morach klammerte sich ungeschickt fest.
»Sie wissen, was sie tragen«, sagte sie leise.
Nachdem sie die gepflasterten Straßen Castletons hinter sich gelassen hatten und westwärts auf der Landstraße eingebogen waren, wurde es im Sack ruhig, und die Ponys beruhigten sich ebenfalls.
»Es kommt mir vor, als wollten sie uns verraten«, sagte Morach und brachte ihr Pony auf gleiche Höhe mit Alys. Sie flüsterte. »Sie sind von mächtigem Haß erfüllt.«
Alys war leichenblaß, ihre Augen schwarz vor Angst. »Still«, sagte sie. »Hast du Weihwasser?«
»Ich hab's gestohlen«, sagte Morach befriedigt. »Dieser Pater Stephen ist sehr unvorsichtig mit seiner Trickkiste. Er hat sie in seinem Zimmer gelassen, er glaubt, in der Burg wäre sie sicher. Ich hätte auch Meßbrot haben können, aber ich hab mir gedacht, besser nicht.«
»Nein«, sagte Alys. Sie erinnerte sich daran, wie sie die Hostie unversehrt erbrochen hatte.
Die beiden Frauen ritten schweigend weiter. Es war ein nebliger Tag, von kleinen Sonneninseln unterbrochen.
»Wenn der Nebel noch dichter wird, können wir unser Geschäft, ohne Angst beobachtet zu werden, erledigen«, sagte Morach und zog sich den Schal über den Mund.
»Er wird dichter werden«, sagte Alys im Brustton der Überzeugung. »Ich werde diesen Tag ohne Gefahr überstehen. Ich werde der Bosheit dieser Puppen entrinnen und mit heiler Haut aus dieser Geschichte herauskommen.«
Morach warf ihr einen Blick zu, halb reumütig, halb amüsiert. »Du hast Macht. Dann beschwör Nebel herauf und Sicherheit um jeden Preis.«
Alys nickte halb im Schmerz. »Einen dichten Nebel«, wiederholte sie. »Und meine Sicherheit um jeden Preis, und... Hugo in meinen Armen, ehe der Tag zu Ende ist.«
Morach schüttelte lachend den Kopf. »Ungeduldiges Luder«, sagte sie grinsend. »Du willst immer alles haben, und immer sofort!«
Der Nebel riß einen Augenblick auf, und die Ponys trabten schneller. Ihre unbeschlagenen Hufe waren im Schlamm kaum zu hören. Zu beiden Seiten des Weges blühten Stechginsterbüsche. Ein Schwarm Kiebitze stieg schreiend aus einer Wiese neben dem Weg auf. Die Frauen waren umschlossen von grauen, dichten Nebelschwaden, aber direkt über ihnen war ein Fleck strahlend blauen Himmels und heller Sonne.
»Merkst du, wie warm die Sonne ist!« sagte Morach begeistert. »Ich liebe die Sonne nach einem kalten Winter. In den letzten Tagen war ich durchgefroren bis ins Mark. Es tut gut, wieder in der Sonne zu sein.«
Alys nickte und schob ihre Kapuze zurück. Ihr Haar ohne Kappe und ohne Haube ringelte sich zu goldbraunen Locken. Sie hatte wieder Farbe bekommen. »Die Burg ist wie ein Gefängnis«, sagte sie verbittert. »Ob Catherine nun sauer oder süß ist, sie zu bedienen ist immer anstrengend.«
»Sobald das Kind geboren ist, bin ich fort«, sagte Morach. «Zurück in meiner Hütte.«
Alys nickte. »Gerade rechtzeitig zum Winter«, bemerkte sie. »Das Kind soll im Oktober kommen.«
Morach grinste. In einem Busch vor ihnen warf sich eine Amsel in die Brust und stieß einen langen, trällernden Ruf aus. Morach erwiderte den Pfiff mit genau denselben Tönen, und die Amsel, teils wütend, teils verwirrt, wiederholte ihr Lied noch lauter.
»Ich weiß«, sagte sie achtlos. »Aber ich würde lieber erfrieren, als noch einen Winter in der Burg zu verbringen.«
»Wirklich?« fragte Alys. »Würdest du das wirklich?«
Morach schaute sich um, und das Lächeln erstarb auf ihrem Gesicht. »Nein«, sagte sie. »Momentan kann ich keine Kälte ertragen. Ich würde alles tun, um nicht frieren und im Dunkeln sitzen zu müssen.«
Alys schien das nicht sonderlich zu berühren. »Du hast einen ganzen Sommer vor dir. Gräm dich nicht.«
Morach schüttelte den Schatten ab, der sie berührt hatte, hielt ihr Gesicht in die Sonne und schloß die Augen. »Und du?« fragte sie. »Wirst du auf Hugo warten? Wenn deine Aufgabe hier erledigt ist? Wirst du Fett ansetzen und lernen zu lächeln, darauf warten, daß er seiner müden Frau und des spuckenden Babys überdrüssig wird? Ich habe gedacht, du hättest genug vom Warten, ich dachte, du
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