Die weise Frau
Geplapper in der Galerie geht mir manchmal schrecklich auf die Nerven — nur Klatsch und Unsinn! Und wieviel Lärm diese Frauen machen, die nichts Besseres zu tun haben, als zu essen und fett und faul zu werden. Ich werde Euch Pater Stephen sofort holen und Hugo zu Euch schicken , wenn er nach Hause kommt. Er kann Euch von dem neuen Haus berichten, er reitet heute hin, um mit den Handwerkern zu reden.«
Der alte Lord grinste über die Art und Weise, in der ihm Alys seine Beschwerde im Mund umgedreht hatte.
»Kluge, kleine Hure«, sagte er liebevoll.
Alys erwiderte sein Lächeln, machte einen verführerischen Knicks und huschte aus dem Zimmer.
Catherine war nicht in der Damengalerie, sie lag noch im Bett, obwohl es schon fast Mittag war. Ruth war bei ihr und hielt ihr ein Kleid nach dem anderen hin, doch winkte Catherine bei jedem verdrossen hab.
»Sie passen nicht«, sagte sie. »Dieses Baby wird immer größer und größer. Du hättest sie ändern sollen, und du hättest die Säume herauslassen sollen, Ruth, ich hab's dir gesagt, aber du warst faul und pflichtvergessen.«
Ruth schüttelte den Kopf. »Ich habe sie geändert, Mylady«, sagte sie mit ihrer leisen, verängstigten Stimme. »Ich habe sie geändert, so wie Ihr es mir aufgetragen hattet. Aber das war letzte Woche, Mylady. Anscheinend ist Eure Taille wieder gewachsen.«
Catherine lehnte sich seufzend zurück. »Ich schwelle wie eine Blase«, jammerte sie. »Dieses Baby erschöpft mich.« Sie warf einen Blick auf Alys, die in der Tür stand. »Kannst du mir helfen, Alys?« fragte sie mit kläglicher Stimme. »Ich bin so müde.«
»Eßt Ihr denn gut, habt Ihr Appetit?« fragte Alys, ging zu ihr und legte die Hand auf Catherines Stirn. Ihre Haut war fettig und feucht. Catherine drehte ihr Gesicht zu Alys' Hand.
»Du bist so kühl«, sagte sie. »Deine Hände sind so kühl und riechen so süß. Ich wünschte, ich wäre kühl.«
»Habt Ihr Euren Negus getrunken?« fragte Alys. »Und Eure Kekse gegessen?«
»Ja«, seufzte Catherine. »Aber ich habe keinen Hunger, Alys. Ich will kein Mittagessen.«
»Ihr müßt essen«, unterbrach Eliza Herring. »Ihr müßt bei Kräften bleiben, Mylady.«
Alys nickte. »Sie hat recht, Mylady. Ihr müßt an das Baby denken. Und Eure Gesundheit pflegen. Ihr müßt essen.«
»Meine Beine tun weh«, beklagte sich Catherine.
Alys schlug die Bettdecke zurück. Catherines Knöchel waren geschwollen und rot angelaufen, ihre Waden, ihre Knie, sogar ihre Schenkel waren schwammig vom überschüssigen Fett, und die Haut war weiß und aufgedunsen.
»Ihr müßt Euch bewegen«, sagte Alys. »Ihr solltet jeden Tag Spazierengehen, Mylady, an der frischen Luft, oder sogar reiten. Ein sanftes Pferd könnt Ihr ohne weiteres reiten.«
Catherine wandte sich vom Fenster ab, wo sich der blaue Himmel zeigte. »Ich bin müde«, sagte sie. »Und ich habe dir doch gesagt, Alys, daß mir meine Beine weh tun. Was bist du überhaupt für eine Heilerin? Wenn ich dir sage, daß mir die Beine weh tun, sagst du, ich soll Spazierengehen! Wenn ich sagen würde, ich wäre blind, würdest du mir dann sagen, ich soll genauer hinschauen?«
Alys lächelte mitfühlend. »Arme Catherine«, sagte sie mit zuckersüßer Stimme.
Ruth erschrak bei dem Gebrauch des Vornamens, aber Catherine strahlte. »Morach hat mich auch immer so genannt«, sagte sie wehmütig. »Und ich kann mich erinnern, daß meine Mutter mich so genannt hat: ›Arme Catherine‹.«
Alys nickte. »Ich weiß. Arme, arme Catherine«, sagte sie liebevoll.
»Ich bin so müde! Ich bin so unglücklich!« platzte es aus Catherine heraus. »Seit Morach tot ist, hab ich das Gefühl, nichts ist mehr der Mühe wert. Es bereitet mir Mühe aufzustehen, es bereitet mir Mühe, mich anzuziehen. Ich wünschte, Morach wäre hier.«
Alys drückte Catherine die Hand und tätschelte sie behutsam. »Ich weiß«, sagte sie. »Ich weiß. Mir fehlt sie auch.«
»Und Hugo schert sich überhaupt nicht darum!« rief Catherine. »Ich hab ihm erzählt, wie sehr sie mir fehlt, und er sagt bloß, sie wäre eine arme alte Frau gewesen und wenn ich die Bauern so nett fände, von denen gäbe es Tausende auf unseren Ländereien.
Er versteht es nicht!«
Alys schüttelte den Kopf. »Männer verstehen so etwas nicht«, sagte sie. »Morach war eine sehr weise Frau, eine Frau, die viel gesehen und die Welt verstanden hat. Aber sie hat mir all ihre Künste beigebracht, Catherine. Und ich werde immer hier sein Ihren Platz in
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