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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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für die bevorstehende Scheidung seines Sohnes von seiner Frau aufgrund ihrer engen Blutsverwandtschaft.
    Sechs Briefe diktierte der alte Lord, dann brach er ab.
    »Pater Stephen wird den Brief an den Obersten Gerichtshof schreiben müssen«, sagte er. »Er weiß, wie er formuliert werden muß, wie eingeteilt, all diesen Kram.«
    »Wird er es tun?« fragte Alys zweifelnd.
    Lord Hugh grinste boshaft. »Er hat keine Wahl, meine Liebe. Er ist mir ausgeliefert. Ich habe ihm ohne Gebühren alle Pfründe meiner Ländereien gegeben. Er ist ein weltoffener Mann, ein ehrgeiziger Mann und ein eifriger Mann der Kirche. Er hat seine Karten auf meinen Hugo gesetzt, die beiden sind aus einem Holz geschnitzt. Hugos Aufstieg wird ihn auch nach oben bringen. Er kennt den Preis — er ist mein Mann bei den Kirchengerichten.«
    »Und was wird mit Catherine passieren?« fragte Alys leise.
    Lord Hugh zuckte die Achseln. »Das weiß der Himmel«, sagte er achtlos. »Früher war sie ins Nonnenkloster gegangen. Sie hat keine bedeutsame Familie. Vielleicht könnte ich jemanden finden, der sie heiratet. Ein Witwer, der schon Söhne hat, käme vielleicht in Frage. Sie ist eine ganz ansehnliche Frau, und gut im Bett, sagt Hugo. Ich geh ihr einen Teil ihrer Mitgift zurück. Oder ich könnte ihr einen kleinen Hausstand irgendwo auf meinen Ländereien einrichten. Sie könnte ein paar von ihren Damen und einige Diener mitnehmen.« Er nickte. »Was immer sie will. Sie hat freie Wahl. Wenn sie sich nicht gegen mich stellt, wird sie von mir großzügig behandelt.«
    »Weiß Hugo das?« fragte Alys.
    Der alte Lord schüttelte den Kopf. »Nein, und von dir soll er es auch nicht erfahren, mein hübsches Fräulein. Ich werde es ihm sagen, wenn ich Antwort erhalten habe. Wenn sie zustimmen, werden wir diesen Plan durchführen. Bring diese Briefe David und sag ihm, sie müssen sofort auf den Weg gebracht werden. Die Boten sollen auf Antwort warten und sofort wieder zurückkommen. Jedem Mann, der schnell wieder zurück ist, gebe ich einen Silberschilling. Und sag den Boten, sie sollen in London weder essen noch trinken. Die Pest zieht wieder durch die Stadt, ich will nicht, daß sie sie einschleppen.
    Und dann gehst du und legst dich hin. Ruh dich aus. Wenn Catherine dich ruft, sag ihr, daß ich wünsche, daß du nachmittags ruhst.«
    Alys nickte, sammelte die Papiere ein und ging.
    Sie hatte Mutter Hildebrande nicht vergessen. Mittags, als Alys ihr Haar glattstrich und in den Spiegel schaute, bevor sie zum Essen nach unten ging, sah sie Mutter Hildebrandes strenges Gesicht im Glas. Sie sah ihre Mutter, wie sie in der Tür der kleinen Hütte stand, die Hand zum Schutz vor der Sonne über die Augen gelegt, wie sie flußabwärts schaute, den Uferpfad am Fluß absuchte und vertrauensselig auf die Tochter wartete, die sie wiedergefunden hatte, überzeugt, daß sie zurückkommen würde, im Vertrauen auf ihre strenge Erziehung, die Disziplin und — mehr als alles andere — im Vertrauen auf die Liebe, die die zwei Frauen verband. Anfangs würde sie sich wundern — die Novizin Alys war nie zu irgendeiner Unterrichtsstunde zu spät gekommen. Dann würde sie Angst um ihre Tochter bekommen. Dann würde sie langsam in ihre feuchte Hütte zurückgehen, sich an den leeren Herd setzen, die Hände falten und für Alys' Seele beten, da das Mädchen nicht gekommen war, in seinen Pflichten gegenüber Gott versagt hatte, seine Mutter im Stich gelassen hatte, den einzigen Menschen auf dieser Welt, der es liebte.
    Als sie dann die Briefe übersetzte, die Künste einsetzte, die Mutter Hildebrande sie gelehrt hatte, war ein Teil von Alys' Gedanken immer noch bei der alten Frau. Die Böschungen des Flußufers waren steil, jetzt da der Fluß seinen sommerlichen Tiefstand hatte — sie würde sich kein Wasser holen können. Wenn das Brot aufgegessen war, würde sie nichts zu essen haben.
    Alys übergab David die Briefe und die Anweisungen, wies mit Nachdruck auf die Gefahren der Pest in London hin. Dann ging sie auf ihr eigenes Zimmer, schloß die Tür, streifte die Schuhe ab und legte sich aufs Bett. Sie schaute hinauf in den grüngelben Himmel über ihrem Bett; er war aufwendig, luxuriös, teuer. Sie wußte, wie schon von dem Moment an, in dem sie sich zu Füßen von Mutter Hildebrande auf Morachs feuchtkalten Lehmboden gesetzt hatte, daß sie nie mehr in der kleinen Kate am Fluß leben würde. Alys würde nie wieder die leerbäuchige Not der Armen im Winter erleiden. Nicht, wenn

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