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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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eigenen peniblen Ehrenkodex zu erpressen. Aber er seufzte nur, fiel vornüber aufs Gesicht, kuschelte sich in die Kissen und fing an zu schnarchen.
    Alys schlängelte sich unter ihm hervor, warf sich eine Decke über die nackten Schultern und zog sich einen Schemel an den Kamin. Sie beobachtete die Flammen. »Odin«, sagte sie, eingedenk der leeren Runen. »Tod der alten Bräuche und Geburt der neuen. Die alten Leben müssen sterben. Die alten kostbaren Lieben müssen Platz machen. Es muß einen Tod geben.«
    Ein Scheit bewegte sich und entflammte, das gelbe, flackernde Licht ließ Alys' Gesicht wie in Trance aussehen. »Tod der alten Bräuche«, wiederholte sie, »es muß einen Tod geben.«
    Sie blieb einen Augenblick schweigend sitzen.
    »Einen Tod«, sagte sie leise. »Nicht meinen Tod oder Hugos, nicht des alten Lords. Aber es muß einen Tod geben. Die alten Loyalitäten müssen geändert werden. Die alten Lieben müssen sterben.«
    Eine Weile lang sagte sie nichts mehr, beobachtete nur stumm die Flammen. Alys wußte, daß die Runen einen Tod ankündigten — sie hoffte, sie mit dem symbolischen Tod ihrer alten Liebe und ihrer alten Loyalität besänftigen zu können. Aber tief in ihrem geheimsten Inneren wußte Alys, daß die Runen Blut wollten.
    »Nicht mein Blut«, sagte sie leise.
    Hugo erwachte mit klarem Kopf und konnte es gar nicht erwarten, zur Jagd loszureiten. Alys half ihm, sein Wams anzuziehen, strich den dicken, wattierten Rücken und die Schultern glatt und zog das prächtige Seidenfutter durch die Schlitze an Ärmeln und Brust. Alys korrigierte ihn nicht, als er meinte, er hätte mit ihr geschlafen. Sie begleitete ihn zur Tür der Damengalerie und sah ihm nach, wie er leichtfüßig die Treppe hinunterrannte, dann nickte sie Eliza zu, die neben dem Feuer saß.
    »Bring mir Lady Catherines Schreibpult«, sagte sie und setzte sich auf einen Schemel zu den übrigen Frauen. Mistress Allingham nähte an dem langen Wandbehang, an dem sie alle arbeiteten, seit Alys ins Schloß gekommen war. Catherines Mutter und ihre Frauen hatten ihn begonnen. Alys stellte sich vor, wie sie und ihre Frauen daran weiterarbeiten würden, lange nachdem Catherine das Schloß in Ungnade verlassen hatte. Er war erst zu einem Viertel fertig. Alys zupfte verträumt an den Falten und sah sich die komplizierten bunten Farben des Musters an.
    »Wo sind Ruth und Margery?« fragte sie.
    »Draußen im Garten«, erwiderte Mistress Allingham. »Lady Catherine schläft, aber sie hat nach dem Essen nach Euch gefragt.«
    Alys hob hochmütig den Kopf. »Ich war bei Lord Hugh. Catherine kann mich nicht herumkommandieren.«
    Mistress Allingham zog ihre schmalen Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Eliza brachte Catherines elfenbeinernes Schreibpult. Ein Federkiel steckte bereit in einem passenden Tintenfaß. Im Inneren lagen glatte Papierbögen, eine kurze Kerze für Siegelwachs und ein paar Stückchen Band. Alys nahm es befriedigt auf den Schoß.
    Sie griff nach dem Gänsekiel und begann zu schreiben.
    Ich schicke Euch diese Dinge per Boten, da ich heute nicht, wie geplant, kommen kann. Lady Catherine ist krank, und ich habe Befehl, sie zu pflegen.
    Zu Eurer und meiner Sicherheit werde ich uns nicht in Gefahr bringen, indem ich auf Euch aufmerksam mache und nicht gehorche. Ich werde kommen, sobald ich kann.
    Sagt nichts zu dem Boten.
    Schickt mir keine Antwort.
    Ich werde kommen, sobald ich kann.
    Als sie mit Schreiben fertig war, faltete sie das Papier dreimal und gab drei Tropfen Siegelwachs auf den Falz. Das Siegel war eine Miniaturversion von Hugos Familienwappen, das seit Generationen von den Frauen der Familie benutzt wurde. Alys zeichnete ein elegantes »A« unter jedes Siegel und ließ sie dann trocknen.
    »Was schreibt Ihr denn da?« fragte Eliza, die ihre Neugier nicht länger im Zaum halten konnte.
    »In Morachs alter Hütte ist eine neue weise Frau«, sagte Alys. »Ich weiß nicht, wer sie ist oder woher sie kommt. Aber ich schicke ihr ein paar Sachen. Wenn meine Zeit kommt, brauche ich eine weise Frau, die das Kind zur Welt bringt. Wenn sie geschickt und gutmütig ist, werde ich sie holen lassen.«
    »Die in Richmond hat einen guten Ruf«, brachte Mistress Allingham vor.
    Alys nickte. »Dann werde ich ihr auch ein Geschenk schicken«, sagte sie. »Gut vorbereitet zu sein ist wichtig.«
    »Euch könnte das doch nicht passieren, oder?« Eliza zeigte mit dem Kopf auf Catherines Tür.
    Alys schüttelte den Kopf.
    »Sie sagen, Hugo

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