Die weise Frau
aus«, sagte Alys, ohne die Augen zu öffnen. »Ich werde vor dem Abendessen zu ihr kommen.«
Mary knickste noch einmal und verließ das Zimmer. Durch den Zug der offenen Fenster der Galerie knallte die Tür laut zu. Alys zuckte zusammen. Sie hörte, wie Mary mit Eliza sprach.
»Mylady Alys hat sich hingelegt«, sagte sie. »Sie wird Lady Catherine vor dem Abendessen besuchen.«
Alys mußte trotz ihrer Schmerzen lächeln. »Mylady Alys«, sagte sie leise. »Mylady Alys.«
Alys wußte, daß sie zu Mutter Hildebrande mußte. Sie konnte niemandem im Schloß eine Botschaft anvertrauen - David wußte alles, was im Schloß und außerhalb passierte. Sie konnte keine weitere Botschaft schicken, wagte es nicht, jemandem zu vertrauen. Und Hildebrande, die Närrin, war genauso fähig, einen mündlichen Befehl zu schicken wie einen unversiegelten Brief. Sie saß neben dem Lord beim Abendessen und stocherte auf ihrem Teller herum.
»Du ißt nicht, Alys«, sagte er sofort. »Fühlst du dich nicht wohl?«
Alys bemühte sich zu lächeln. »Ein wenig unwohl, Mylord«, sagte sie. »Und mir sind die Pulver ausgegangen, die ich brauche.«
»Jemand wird dir holen, was immer du brauchst«, sagte er. »Sofort, wenn es sein muß. Es ist schlecht für das Baby, wenn die Mutter nicht ißt. Du sollst haben, was immer du willst.«
Alys schüttelte den Kopf. »Ich brauche etwas zerstoßene Borke von einer Ulme«, sagte sie. »Es ist ein seltener Baum. Ich könnte nicht beschreiben, wo man ihn findet, er wächst in einem Hain in der Nähe des Flusses, am Fuß des Moors. Dort muß es ein Dutzend Ulmen geben. Nur ich weiß, welcher sich eignet.«
»Willst du dorthin?« fragte der alte Lord. »Ich geb dir eine Sänfte. Es ist gefährlich für dich zu reiten.«
»Ein Maulesel wäre mir lieb«, sagte Alys. »Da könnte ich nicht runterfallen, und ich würde nur Schritt reiten. Das kann dem Kind und mir nicht schaden. Und ich brauche das Pulver wirklich.«
»Ein paar bewaffnete Männer werden dich begleiten«, beschloß Lord Hugh. »Und deine neue Zofe. David hat gesagt, er hat dir ein hübsches Mädel gebracht, das wild darauf ist, dir zu dienen. Du könntest morgen früh losreiten und mittags wieder zurück sein.«
»Ja«, sagte Alys. »Oder wir könnten uns das Essen mitnehmen. Dann müssen wir uns nicht so beeilen. Ich möchte nicht traben oder galoppieren müssen.«
»Nein, nein«, sagte der alte Lord hastig. »Laß dir ruhig den ganzen Tag Zeit, Alys, solange du dich nicht gefährdest. Vermeide grelles Sonnenlicht und paß auf, daß du dich nicht überanstrengst.«
»Wohlan denn!« sagte Alys freundlich. »Wie Ihr wünscht, Mylord.«
In dieser Nacht kam Hugo weder in die Damengalerie noch in Alys' Kammer. Mary, die neue Magd, schlief auf einem kleinen Bett, das man auf Holzrädern unter dem großen Bett herauszog, in Alys' Kammer. Alys lag im Dunklen und lauschte mit wachsendem Zorn Marys stetem Atem. Um Mitternacht schüttelte sie sie wach und befahl ihr, sich in die Galerie zu legen. »Ich kann nicht schlafen, wenn du im Zimmer bist.«
»Sehr wohl, Mylady«, sagte das Mädchen. Ihr blondes Haar war zerzaust, ihre Wangen rosig. Sie blinzelte Alys verschlafen an, wie eine Eule. Ihr Hemd, das am Hals offen war, zeigte die einladende Schwellung ihrer Brüste.
»Geh«, sagte Alys gereizt. »Ich werde kein Auge zutun, solange ich nicht allein bin.«
»Verzeiht, Mylady«, sagte Mary. Sie schlich sich, so leise es ging im Dunklen aus dem Zimmer. Sie schloß behutsam Alys' Tür und fiel dann in der Galerie über einen Schemel. Dann wurde es still. Alys drehte sich zur anderen Seite und schlief den Rest der Nacht tief und fest.
Am Morgen befahl sie Mary, ihr Brot und Käse und Bier zu bringen, und aß es allein in ihrem großen Bett. Mary mußte heißes Wasser in einen Krug füllen und ihr bringen und ein Badelaken zum Abtrocknen vor dem Feuer wärmen. Mary ging zur Truhe mit den Gewändern.
»Das braune Gewand«, sagte Alys. »Und das schwarze Schnürleibchen und die schwarze Giebelhaube.«
Nachdem sie fertig angezogen war, betrachtete sich Alys im Handspiegel. Das Mieder preßte ihren Bauch und ihre Brüste zu einem flachen Brett. Hildebrande würde nichts von ihrer Schwangerschaft bemerken. Die altmodische Haube reichte vorne bis tief in die Stirn und verdeckte hinten ihr ganzes Haar. Das Kleid hatte einen warmen Rostton, der Schnitt war elegant — aber das krasse Gegenteil des kirschroten Gewandes von Meg der Hure.
»Kannst du
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