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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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meine anwenden.«
    Alys hob das Bündel über ihre Schulter. Ihr ganzes Gesicht zitterte. »Ich kann es nicht!« sagte sie. »Ich bin ungeschickt. Ich weiß nichts! Ich habe ein paar Kräuter gezogen, ich habe in der Abtei getan, was man mir aufgetragen hat. Und deine Künste sind Lügen und Unsinn.«
    Morach lachte scharf. Der Mann draußen hämmerte wieder gegen die Tür. »Komm, Mädel!« rief er. »Sonst räuchere ich dich aus!«
    »Nimm meine Lügen und meinen Unsinn und deine Unwissenheit und versuche, damit deine Haut zu retten«, meinte Morach. Sie mußte Alys zwingen. »Verhexe ihn!« zischte sie, als sie das Mädchen über die Türschwelle schob. »Du hast die Macht. Ich spüre sie in dir. Du hast die Flammen blau gemacht. Nimm deine Kräfte und nutze sie jetzt, um deiner Haut willen! Mach den alten Lord gesund, Alys, sonst sind wir beide tot.«
    Alys stand jammernd vor Angst da. Doch der Reiter beugte sich vom Pferd, packte sie unter beiden Armen und setzte sie vor sich.
    »Komm«, gab er seinem Gefährten zum Zeichen, und sie wendeten ihre Pferde, die dabei das Gemüsebeet verwüsteten. Dann waren sie in scharfem Galopp in der Dunkelheit verschwunden.
    Morach blieb eine Weile in der Tür stehen. Sie ignorierte einfach die Kälte und den Rauch des nassen Feuers, der in dicken Schwaden hinter ihr hing, und lauschte dem Schweigen, das Alys hinterlassen hatte.
    »Sie hat die Macht«, sagte sie in den Nachthimmel und beobachtete, wie die Wolken sich hinter dem Halbmond teilten. »Sie hat geschworen, sie würde gehen, und in dem Augenblick sind die Pferde gekommen, sie zu holen, und sie war fort. Was wird sie sich als nächstes wünschen?«

3
    Alys war nie zuvor auf einem Pferd gesessen, und sie klammerte sich verunsichert an das Sattelhorn. Der Wind stand ihr ins Gesicht, und der harte Griff des Mannes hinter ihr war der eines Kerkermeisters. Wenn sie hinunterschaute, sah sie die bebenden Schultern des Pferdes, wenn sie nach vorne schaute, sah sie die windgepeitschte Mähne. Der Weg führte über die kleine Steinbrücke nach Castleton. Kein Licht war hinter den verschlossenen Läden zu sehen. Die kleineren Häuser des Ortes, die im Schatten der Hauptstraße an lehmigen Wegen lagen, und die kleinen Hütten dahinter auf dem Brachland waren dunkel und still.
    Alys wurde so durchgerüttelt, daß ihr der Atem fehlte zu schreien, selbst dann, als das Pferd nach links abdrehte und über die Zugbrücke donnerte, auf den großen schwarzen Schlund des Schloßtores zu. Ein kurzer Zuruf von zwei Soldaten, die in der Finsternis der Schwelle unsichtbar waren, eine barsche Antwort des Reiters, und sie waren im mondbeschienenen Burgfrieden. Alys fand sich gerade zwischen dem Gewirr von Stallungen und Wirtschaftsgebäuden zu ihrer Rechten, dem runden Turm des Wachraums zur Linken und dem Gestank zurecht, da hatten sie bereits über eine zweite Zugbrücke einen tiefen Graben mit stehendem Wasser überquert. Der Lärm der Hufe auf der Holzbrücke hallte wie Donner, und dann ging es durch ein weiteres, finsteres Tor.
    Die Pferde hielten an, zwei Soldaten traten vor und musterten Alys und die Reiter, dann winkten sie sie in einen Garten. Alys entdeckte Kräuter- und Gemüsebeete und die kahlen Kronen von Apfelbäumen. Direkt vor ihnen, kantig und mächtig vor dem nächtlichen Himmel, lag ein einstöckiges Gebäude mit einer riesigen Doppeltür genau in der Mitte. Von drinnen hörte Alys Geschrei und Gelächter. Die Tür ging auf, ein Mann kam heraus und urinierte achtlos gegen die Wand. Der ganze Hof war von Fackeln hell erleuchtet, und Alys roch heißes gebratenes Fleisch. Alys sah ein hell glühendes Backhausfeuer in einem kleinen runden Gebäude, das in einiger Entfernung zu ihrer Rechten stand. Dann hielten sie vor zwei dräuenden Türmen aus riesigen Felsquadern ohne erkennbares Licht.
    »Wo sind wir?« keuchte Alys erschrocken und klammerte sich an die Hände des Mannes, als er sie aus dem Sattel stieß.
    Er deutete mit dem Kopf auf den Turm, der an das lange Gebäude anschloß. »Lord Hughs Turm«, sagte er knapp. Laut rief er über ihren Kopf hinweg. Kaum war die Antwort aus dem Turm gekommen, hörte Alys, wie ein Riegel mühelos zurückgeschoben wurde.
    »Und was ist das für ein Turm?« fragte sie ängstlich und deutete auf den gegenüberliegenden Turm. Dieser war kleiner und gedrungener, ein Teil der hohen Außenmauer. Im unteren Teil hatte er überhaupt keine Fenster, und eine Steintreppe führte in den ersten Stock

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