Die weise Frau
Schloß, der ganzen Stadt, dem ganzen Land blamiert. Ich dachte, du wärst meine Freundin. Aber du hast nur mit mir gespielt.«
Alys saß wie versteinert da. Sie merkte, wie Catherines Zorn und Kummer an ihr abprallten.
»Du hast mich verraten. Du bist falsch.« Sie schluchzte. »Hugo spielst du die Hure vor, und beim alten Lord bist du zuckersüß, wie eine Tochter. Mir gaukelst du die falsche Freundin vor, und vor meinen Hofdamen spielst du die Herrin. Du bist durch und durch verlogen, Alys. Du hast keinen Funken Ehre im Leib. Du bist ein Nichts, Alys, ein Nichts!«
Alys nickte, den Blick starr auf den runden Turm ohne Fenster gerichtet. Was Catherine sagte, stimmte wahrscheinlich. Nichts. Was sie wohl jetzt da drüben mit Mutter Hildebrande machten? Alys erhob sich. »Ich fühle mich nicht wohl«, sagte sie. »Ich werde mich vor dem Essen etwas ausruhen.«
Catherine hob flehend ihr Gesicht zu ihrem auf. »Du sagst nichts?« fragte sie. »Du läßt mich einfach hier sitzen. Du verteidigst dich nicht, du versuchst nicht einmal, deine Falschheit zu erklären? Deine Treulosigkeit? Deine Unaufrichtigkeit?«
Alys warf noch einen Blick auf den runden Turm, bevor sie sich zur Tür wandte. »Treulosigkeit?« wiederholte Alys. »Unaufrichtigkeit?« Sie lachte schrill. »Das ist nichts, Catherine! Gar nichts!«
»Aber du hast mir ins Gesicht gelogen!« warf ihr Catherine vor. »Du hast mir versprochen, meine Freundin zu sein.«
Alys zuckte die Achseln. »Ich fühle mich nicht wohl«, sagte sie barsch. »Ich bin zu krank. Ihr werdet Euren Schmerz ertragen müssen, Catherine. Ich kann keine Verantwortung übernehmen. Es übersteigt meine Kräfte.«
Catherine wurde blaß. »Bist du krank, so wie ich es war?« fragte sie. »Verfault das Kind in dir wie meines? Ist das alles, was Hugo zeugen kann? Kerzenwachs?«
Mit einem Mal hatte Alys ihren Traum von der madenwimmelnden Straße und den kleinen Puppen wieder deutlich vor Augen. Sie blinzelte und schüttelte den Kopf, um die Bilder wieder loszuwerden. »Nein«, sagte sie und legte die Hände über den Bauch, als wolle sie das Kind schützen. »Mein Sohn ist gesund und unversehrt«, sagte sie. »Nicht so wie deiner.«
Die Geste — diese schlichte Geste einer Schwangeren — verwandelte Catherines Zorn in Schmerz. »Alys! Ich verzeihe dir! Ich verzeihe dir alles! Die Ränke und die Lügen, die Schande, die du über mich gebracht hast. Deinen Ehebruch mit meinem Mann! Ich verzeihe dir, wenn du mit mir kommst. Sie werden mich aus dem Schloß werfen, ich werde gehen müssen. Komm mit mir, Alys! Wir werden deinen Sohn gemeinsam aufziehen. Es wird mein Kind sein genauso wie deines. Ich werde ihn zu meinem Erben machen, Alys. Erbe des Gutshofes, den sie mir geben werden, und meiner Mitgift, die sie mir zurückgeben werden. Du wirst mit mir reich sein. Bei mir wirst du in Sicherheit sein, und dein Sohn auch!«
Einen Augenblick lang zögerte Alys, wog die Vorteile ab, prüfte ihre Chancen. Dann schüttelte sie den Kopf. »Nein, Catherine«, sagte sie mit frostiger Stimme. »Du hast hier nichts mehr zu sagen, und sie werden dich fortjagen. Hugo wird dich nie wieder berühren. Der alte Lord wird dich nie mehr besuchen. Ich habe mit deinen Wünschen gespielt, um dich dazu zu bringen, ohne Aufruhr zu gehen, und meinem Lord einen Dienst zu erweisen. Ich hatte nie vor, mit dir zu gehen.«
Catherine schlug die Hände vor den Mund. Sie starrte Alys fassungslos an. »Du bist grausam!« sagte sie ungläubig.
Alys' Gesicht war grimmig und erschöpft. »Geh einfach, Catherine«, sagte sie. »Deine Zeit hier ist abgelaufen. Geh einfach.«
Sie schloß die Tür hinter Catherines Protestgeschrei und ging in die Damengalerie. Die anderen Frauen waren aus dem Garten zurückgekehrt und nahmen ihre Hauben ab, kämmten sich das Haar und schimpften über die Hitze. Alys glitt an ihnen vorbei wie ein kalter Schatten.
»Was fehlt Mylady?« sagte Ruth, als sie Catherines Wehklagen und Alys' trotziges Gesicht sah. »Soll ich zu ihr gehen?«
»Sie soll das Schloß verlassen«, sagte Alys brüsk. »Mylord hat es befohlen. Sie soll verstoßen und die Ehe annulliert werden.«
Einen Augenblick lang war alles stumm, dann plapperten alle gleichzeitig los. Alys warf die Hände in die Luft, um die hysterischen Fragen abzuwehren. »Fragt sie doch selbst! Fragt sie doch selbst! Sie ist nicht mehr Lady Catherine.«
Alys lächelte angesichts der Stille im Raum. Alle schwiegen, voller Angst um ihre eigene
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