Die weise Frau
Becher, die ihn mit dem leeren Bierkrug in den Schrank stellte. »Nur eine Meile vor der Brücke«, sagte sie. »Von Bowes Moor in Richtung Castleton, auf dem Weg hierher. Eine furchtbare Geschichte, was? Aber sie hat geschworen, es wäre wahr.«
Alys schüttelte den Kopf. »Winzige Fußspuren!« sagte sie verächtlich. »Kerzenwachs! Ich dachte, du willst uns mit einem zwei Meter großen Geist erschrecken!«
Eliza war erbost. »Aber es ist wahr...«
»Ich bin erschöpft«, sagte Alys. »Hol mir Mary, Eliza, ich werde zu Bett gehen.«
Eliza warf einen Blick auf die geschlossene Tür von Catherines Zimmer. »Soll ich nachschauen, ob alles in Ordnung ist?« fragte sie Alys. Die übrigen Frauen warteten auf Alys' Entscheidung.
Alys dachte an die kleinen Puppen, die in dieser Nacht nur eine Meile von ihrer Tür entfernt waren, und lächelte gequält. »Es ist egal«, sagte sie und lachte schrill, so daß die Frauen sich überrascht ansahen. »Es ist doch alles egal«, sagten sie. »Nach all der Mühe. Alles egal!«
31
Hugo taumelte in Alys' Zimmer, als sie gerade eingedöst war. Alys setzte sich erschrocken im Bett auf.
»Brennt es?« fragte sie verschlafen.
Hugo lachte schallend. Er hatte bis spät in die Nacht in der Halle gezecht und war bester Laune. Er zerrte Alys die Decke weg und schlug ihr auf den Hintern.
»Schon das Neueste gehört?« fragte er. »Meine Ehe wird annulliert. Ich soll ein Mädchen direkt aus der Kinderstube heiraten! Und Stephen bringt nichts Vernünftiges aus der Alten von Bowes Moor raus!«
Alys riß die Decke wieder an sich und zog sie über die Schultern hoch. »Das weiß ich alles schon«, sagte sie grimmig. »Außer von der alten Frau. Was macht ihr mit ihr?«
»Oh, Stephen ist kein Barbar. Sie ist doch eine alte Dame. Er verhört sie und führt theologische Diskussionen mit ihr. So wie sich's anhört, hält sie sich ganz tapfer. Er war übler Stimmung nach dem Abendessen. Er hat mir alles bei einem Krug Hippocras erzählt. Sie haben über Transubstant-transubtrans...« Hugo gab kichernd auf. »Ob's Brot oder Fleisch ist«, sagte er unverblümt.
»Wird er sie gehen lassen?« fragte Alys. Sie setzte sich auf. Hugos Kopf war hochrot. Er knöpfte sein feines Wams auf und warf es in Richtung eines Stuhls. Es fiel zu Boden. Er schnallte seinen Gürtel und den Lendenschurz ab, band seine Hose auf und warf alle Kleidungsstücke auf einen Haufen, dann kam er mit wehendem Hemd ans Bett. »Rutsch rüber, Weib«, sagte er zufrieden. »Ich werde heute nacht hier schlafen.«
»Wird er sie gehen lassen?« fragte Alys wieder. Hugo umarmte ihre Taille und kuschelte seinen Kopf an ihren Bauch.
»Wen, die alte Frau?« fragte er und richtete sich mit zerzaustem Kopf auf. »Ach, frag mich nicht, Alys, du weißt doch, wie Stephen ist. Er will es seinem Gott recht machen, er will es seinem Bischof recht machen, und er will es jeder einfachen Seele recht machen und sich selbst auch noch. Wenn er feststellt, daß sie eine unschuldige alte Frau auf Irrwegen ist, wird er sie überreden, den Eid zu schwören, und sie gehen lassen, und ich werde sie für dich über die Grenzen nach Appleby bringen lassen, und damit hat die Sache ein Ende.«
Alys legte sich zurück und schloß die Augen. »Ein Ende«, sagte sie leise.
»Warum nicht?« fragte Hugo. »Was bedeutet schon eine alte Frau mehr oder weniger? Stephen und ich werden schon nächsten Monat nach London reisen und uns die kleine Braut ansehen. Mein Vater muß schon senil sein. Er hat mir ein Kind von neun Jahren ausgesucht, mit dem ich nur dem Namen nach verlobt werde.« Hugo lachte. »Mir ist es egal!« sagte er und streichelte mit sanfter Hand über ihren Bauch. »Catherine fort, und du mit meinem Kind. Eine neue Frau kann kommen oder warten. Es ist unwichtig. Solange du mir einen Sohn schenkst, den ich zum Erben machen kann, und dann noch einen, bis das ganze Schloß voll ist. Ich habe noch viel Zeit, um Kinder zu bekommen, Alys. Es bleibt noch viel Zeit. Viel Reichtum und Land und Luxus für uns alle.«
Alys ließ sich von ihm im Takt seiner Worte schaukeln und schlang ihre Arme um seinen Rücken. Sie merkte, daß sie lächelte. »Du ahnst ja nicht, wieviel Ärger ich heute hatte«, sagte sie. "Catherine war hysterisch, dein Vater hat gedroht, mich wegen einer frechen Bemerkung aus dem Schloß zu werfen, ich war krank vor Sorge um die alte Frau, und dann hat Eliza mich noch mit einer furchtbaren Geistergeschichte verängstigt.«
Hugo lachte
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