Die weise Frau
Ländereien, beaufsichtigt die Rittergüter, sagt ihnen, welche Feldfrüchte sie anbauen sollen, und sucht den besten Teil für das Schloß aus. Der junge Lord Hugo dient außerhalb des Schlosses teilweise als Majordomus, er regiert die Dörfer und sitzt mit seinem Vater zu Gericht.«
»Ich dachte, David wäre ein Diener«, sagte Alys.
Mistress Allingham kicherte, und Alys wurde rot. »Laß ihn das bloß nicht hören«, sagte sie grinsend. »Er ist nach Mylord und dem jungen Lord Hugo der wichtigste Mann im Schloß.«
»Und der gefährlichste«, sagte eine der Frauen leise. »Giftig wie eine Schlange.«
Sie mußten lange auf ihr Essen warten. Es wurde auf dünnen Zinnplatten serviert, und Lady Catherine aß von Silber. Sie aßen das Fleisch mit den Fingern und einem Messer. Danach gab es eine Schale Brühe mit einem dickstieligen Löffel und Brot. Das Brot war aus gutgemahlenem Roggenmehl. Am oberen Tisch hatten sie Weizenbrot, Alys sah die blasse, appetitliche Farbe. Bis auf die Brühe, die kalt war, wurde das gesamte Essen lauwarm aufgetragen.
Alys legte ihren Löffel beiseite.
»Schmeckt's dir nicht?« fragte eine der älteren Frauen. »Ich bin Eliza Herring.«
Alys schüttelte den Kopf. »Sie ist kalt«, sagte Alys. »Und zu salzig.«
»Die wird aus Pökelfleisch gemacht«, sagte Mistress Allingham. »Und zwar mit dem Bodensatz aus jedem Faß, da könnt' ich wetten. Aber sie ist immer kalt. Alles muß von der Küche hierher getragen werden. Ich habe kein heißes Fleisch mehr gegessen, seit ich mein Haus verlassen habe.«
»Aber du bleibst doch hier, auch wenn das Fleisch kalt ist«, sagte Eliza Herring giftig. »Nach allem, was ich so höre, würde dir die junge Frau deines Sohnes kein Wildbret servieren, ob heiß, kalt oder roh.«
Mistress Allingham nickte. »Ich wünschte, die Pest würde sie holen!« rief sie, dann verstummte sie plötzlich und sah Alys an. »Kannst du eine Frau verhexen, die du nicht kennst?« fragte sie. »Könntest du ihr Herz mir gegenüber erweichen? Oder sie sogar aus dem Weg räumen? Soviel Krankheit überall — kein Grund warum sie nicht ein Wechselfieber kriegen sollte.«
Alys schüttelte den Kopf. »Ich kenne die Wirkkraft der Kräuter, mehr nicht«, sagte sie. »Ich kann keine Zaubersprüche, und ich würde es auch nicht tun, wenn ich es könnte.« Sie hielt inne, um sicherzugehen, daß die Frauen auch zuhörten. »Ich kann keinen verzaubern. Ich habe nur ein bißchen Erfahrung in Kräuterkunde. So konnte ich den Lord heilen. Ich kann und würde keinen krank machen.«
»Könntest du jemanden dazu bringen, sich zu verlieben?« fragte die junge Margery. Ihr Blick wanderte unbewußt zu Lord Hugo. »Du hast doch Liebestränke und Kräuter, die die Leidenschaft wecken, nicht wahr?«
Alys war mit einem Mal auf der Hut. »Es gibt Kräuter, die die Leidenschaft wecken, aber nichts kann ändern, wie ein Mann denkt. Ich kann einen Mann so heiß machen, daß er eine Frau begehrt— aber ich kann ihn nicht dazu zwingen, sie zu achten, wenn er sein Vergnügen gehabt hat.«
Eliza Herring brüllte vor Lachen. »Das bringt dich auch nicht weiter, als du schon bist, Margery!« sagte sie begeistert. »Denn er hat dich schon zwei dutzendmal genommen und dann fallenlassen, bis es ihn wieder juckte.«
»Still, still!« sagte die vierte Frau verängstigt. » Sie wird es hören. Du weißt doch, wie sie lauscht!«
Ein Diener kam und schenkte jeder von ihnen Bier ein. Alys konzentrierte ihren Blick auf den Tisch des Lords. Im klaren Licht der Wachskerze sah sie den Glanz der Silberplatten. Die Tischwäsche war aus makellosem, weißem Leinen. Sie tranken Wein aus Gläsern. Alys merkte, daß sie den Duft von sauber brennendem Wachs, sauberer Wäsche und gutem Essen bewußt einatmete. Es erinnerte sie an die Abtei und die überwältigende Sehnsucht, die sie verspürt hatte, als sie die Sauberkeit und die Ordnung das erste Mal gesehen hatte. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, das Beste zu bekommen, das Allerbeste, was die Abtei zu bieten hatte. Und sie war auf dem besten Weg gewesen, die beste Zelle, den weichsten Strohsack, den bestgewebten Mantel und das anschmiegsamste Gewand zu bekommen. Sie war der Liebling der Äbtissin gewesen. Und dann hatte die Statue Unserer Lieben Frau sie angelächelt und ihre Sehnsucht, dort zu sein, bestätigt, an einem heiligen Ort, in Gnaden.
Sie beugte den Kopf, um ihr vor Enttäuschung verzerrtes Gesicht zu verbergen. In einer Nacht hatte sie alles verloren:
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