Die weise Frau
mit Waffen genommen, um das Lordtum zu vergrößern, bis sich die Grenzen ihrer Ländereien vom Pennin im Osten und bis fast zum Meer im Westen erstreckten. Sie erhielten sich ihre Macht und ihren Reichtum, indem sie sich still verhielten und sich von den Intrigen um den Thron fernhielten.
Lord Hugh war erst ein halbes dutzendmal in seinem Leben in London gewesen, denn er war ein Meister treuherziger Ausreden. Er war zur Krönung von Königin Anne dorthin gereist, da die Anwesenheit geboten schien. Unauffällig hatte er in einer der hinteren Reihen gestanden, der Inbegriff eines treuen Lords aus der Provinz. Seine Stimme ließ er mittels Vertreter abgeben, er bestach und verhandelte mittels Briefen. Wenn man ihm befahl, bei Hof zu erscheinen, entschuldigte er sich wegen schlechter Gesundheit, gefährlicher Unruhen in seinen Ländereien oder in letzter Zeit wegen seines Alters und schickte dem König sofort ein angemessenes Geschenk, um sich die unstete königliche Gunst zu sichern. Er wußte von seinen Verwandten bei Hof, wer die kommenden Männer waren und wer absteigen würde. Er hatte Spione in den königlichen Amtsstuben, die ihm die notwendigen Neuigkeiten zukommen ließen. Im ganzen Land hatte er Schuldner. Tausend Männer nannten ihn Cousin und suchten bei ihm Gunst oder Schutz und bezahlten mit Informationen. Er saß wie eine listige Spinne in einem Netz von Vorsicht und Angst. Er repräsentierte die Macht des Königs im unsicheren Norden und hatte seinen Platz im Großen Rat des Nordens, den er nie öfter als einmal jährlich einnahm. Er vermied es, Reichtum und Macht seiner Familie allzu deutlich zu zeigen, aus Angst vor den neidischen Südländern. Er folgte den Traditionen seines Vaters und Großvaters. Sie hatten den Vorsitz über ihre eigenen Gerichte. Sie sprachen Recht zu ihren Gunsten. Sie verkündeten die Gesetze des Königs und setzten die durch, die ihnen Vorteile brachten. Sie lebten recht gut als heimliche Tyrannen.
Ihre größten Rivalen waren die Fürstbischöfe und die Klöster, und jetzt kämpften die Bischöfe um ihren Reichtum und würden vielleicht schon bald um ihr Leben kämpfen. Der alte Lord sah, welch gute Zeiten sein Sohn zu erwarten hatte. Und Hugos Enkel würde so reich sein wie jeder andere Lord Englands und mehr Männer befehligen als die meisten. Er würde die Möglichkeit haben, sich mit den Schotten zusammenzutun, mit England. Er würde sein eigenes kleines Königreich besitzen. Wer konnte wissen, zu welch erlauchten Höhen die Familie aufsteigen würde, wenn sie abwartete und ihre Umsicht und ihre Weisheit nutzte, wie sie es schon immer getan hatte?
Aber der junge Lord Hugo wollte nicht darauf warten, daß die riesigen Ländereien der Klöster ihm vielleicht in fünf oder zehn Jahren in die Hände fielen. Er wollte nicht darauf warten, daß die Schafe geschoren, daß die Lehenszinsen langsam anstiegen und die jährlichen Pachtbeträge eingetrieben waren. Er wollte sofort Reichtum und Macht. Er hatte Freunde, die Fuhrwagen besaßen, einen, der eine Flotte Barken besaß, einen, der Kohle und Eisenerz förderte, einen weiteren, der von hochseetüchtigen Schiffen erzählte und von der Beute, die in Ländern außerhalb Europas zu machen war, außerhalb der bekannten Welt. Er sprach von Handel und Geldgeschäften mit profitablen Zinsen. Er zeigte nie seine Ungeduld mit seinem Vater, und Alys jagte diese für ihn untypische Diskretion noch mehr Angst ein.
»Er will nach London«, warnte sie den alten Lord.
»Ich weiß«, sagte er. »Ich halte ihn davon ab, und das wird er nicht ewig dulden.«
Alys nickte.
»Hast du mehr gehört?« fragte der alte Lord. »Irgendwelche Ränke oder Pläne? Glaubst du, seine Ungeduld könnte so heftig werden, daß er mich vergiften oder wegsperren läßt?«
Alys' Nasenflügel bebten, als röche sie die Gefahr in dieser Frage. »Ich habe nichts gehört«, sagte sie. »Ich habe nur gesagt, daß der junge Lord darauf brennt, seinen Weg auf dieser Welt zu machen. Ich will ihm nichts anhängen.«
»Aber Alys«, sagte der alte Lord ungeduldig. »Du mußt bereit sein, ihn zu verraten, für mich. Du hältst dich in den Gemächern meiner Schwiegertochter auf, du hörst, was dort geklatscht wird. Catherine weiß sehr wohl, daß ich eine Möglichkeit finden werde, sie loszuwerden, wenn sie nicht innerhalb des nächsten Jahres schwanger wird. Das Beste für sie wäre, wenn sie mich beiseite schafft, ehe ich etwas gegen sie unternehme. Hugo drängt es an
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