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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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den Hof, und ich versperre ihm den Weg nach Süden. Sei mein Ohr, Alys. Sei mein Auge. Du gehst überall hin, du hörst und siehst alles. Du brauchst weder Hugo noch Catherine etwas anzuhängen. Du mußt mir nur deine Vermutungen erzählen — auch die unbedeutendsten Vermutungen.«
    »Ich habe keine«, sagte Alys überzeugt. »Lady Catherine spricht von Eurem Tod als einem noch fernen Ereignis, mehr nicht. Ich habe nie gehört, daß sie Angst vor einer Scheidung oder einer Annullierung ihrer Ehe hat. Lord Hugo kommt nur selten in ihre Gemächer, und ich sehe ihn nie, außer in eurem Gemach.«
    Er schwieg einen Augenblick. »Du siehst Hugo nur bei mir?«
    Alys nickte.
    »Er lauert dir nicht auf?«
    »Nein«, erwiderte Alys.
    Es war die Wahrheit. Entweder hatte Morachs Tisane gewirkt, oder der alte Lord hatte seine Wünsche klar und deutlich geäußert. Nachdem Alys von Morach ins Schloß zurückkehrte, hatte Hugo ihr einmal unmißverständlich zugezwinkert, aber er hatte ihr nie wieder befohlen, in sein Gemach zu kommen. Seitdem war sie dem jungen Lord aus dem Weg gegangen, so gut sie konnte, und wenn sie an ihm vorbeiging, hielt sie den Blick immer auf den Boden gerichtet. Aber eines Morgens im Wachzimmer unter dem Privatgemach des alten Lords passierte es. Sie kam gerade die kleine Treppe hinunter, und Hugo wollte nach oben.
    »Immer in Eile, Alys«, sagte Hugo freundlich. Er packte ihren Ärmel mit zwei Fingern. »Wie geht es meinem Vater heute?«
    »Er ist wohlauf, Mylord«, sagte Alys, den Blick starr auf die Steinplatten zwischen seinen Reitstiefeln gerichtet. »Er hat gut geschlafen, und sein Husten ist etwas besser.«
    »Das ist dieses feuchte Wetter, Alys«, sagte Hugo. »Man spürt direkt, wie der Nebel vom Fluß aufsteigt, du nicht auch, Alys? Geht die Kälte dir nicht durch Mark und Bein?«
    Alys schaute kurz zu ihm auf. Sein dunkles Gesicht war ganz nahe über sie gebeugt.
    »Ich kann nicht klagen, Mylord«, sagte sie. »Und der Frühling ist nicht mehr weit.«
    »Oh, das wird noch Monate dauern«, sagte Hugo. »Die langen dunklen Nächte und Kälte liegen noch vor uns.« Er flüsterte die Worte »dunkel« und »Kälte« wie eine Einladung an das warme Feuer seines Gemachs.
    »Ich spüre die Kälte nicht«, sagte sie ruhig.
    »Magst du mich nicht?« fragte Hugo plötzlich. Er ließ ihren Arm fallen, nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und drehte es zu sich. »Du hast meinem Vater erzählt, ich hätte dich eingeladen und du wärst nicht willig. Magst du mich nicht, Alys?«
    Alys blieb reglos stehen und starrte auf das silbrige Weiß seines Kragenbandes, als könnte es sie beruhigen.
    »Doch, Mylord«, sagte sie höflich. »Natürlich mag ich Euch.«
    »Aber du bist nie in mein Gemach gekommen«, bemerkte er. »Und du hast meinem Vater Geschichten erzählt. Daraufhin hat er mir gesagt, ich solle meine Finger von dir lassen. Hast du das gewußt?«
    Seine Hände hielten zärtlich ihr Gesicht. Sie warf einen verstohlenen Blick auf seine Augen: Er lachte sie aus.
    »Das hab ich nicht gewußt.«
    »Du magst mich also doch?« fragte er. Er hatte allergrößte Mühe, nicht laut loszulachen über diesen absurden Wortwechsel. Alys spürte, daß auch sie jeden Augenblick loslachen würde.
    »Es steht mir nicht zu, Mylord, Euch zu mögen oder nicht zu mögen«, sagte Alys steif. Ihre Wangen kribbelten unter seinen Händen.
    Hugo hörte auf zu lachen, hielt ihr Gesicht mit einer Hand und strich mit einer Fingerspitze sanft von ihrem Augenwinkel über ihren Backenknochen zu ihrem Mundwinkel. Alys erstarrte, duldete reglos diese Zärtlichkeit. Er beugte sich etwas näher. Alys schloß die Augen, um Hugos lächelndes, eindringliches Gesicht nicht beobachten zu müssen, wie es sich ihrem näherte. Er zögerte einen halben Zentimeter vor Alys Mund.
    »Aber ich mag dich, Alys«, sagte er leise. »Und mein Vater wird nicht ewig leben. Und ich glaube, du würdest die Kälte spüren, wenn du wieder zurück nach Bowes Moor müßtest.«
    Alys blieb stumm. Sie spürte die Wärme seines Atems auf ihrem Gesicht. Seine Lippen waren den ihren sehr nahe. Sie konnte sich seinem Kuß nicht entziehen, konnte nur ohnmächtig warten, ihr Gesicht zu seinem gehoben, mit Augen, die sich langsam benommen schlossen. Dann ließen seine Hände ihr Gesicht los, und er richtete sich auf. Alys riß die Augen auf und starrte ihn überrascht an.
    »Irgendwann wirst du soweit sein«, sagte er freundlich, drehte sich um und lief die geschwungene

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