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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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Turmtreppe zum Gemach seines Vaters hinauf.
    Keiner hatte sie gesehen. Keiner hatte sie gehört. Aber Lady Catherine wußte es.
    Als Alys zum Nähen in die Kemenate gerufen wurde, winkte Lady Catherine sie zu sich auf einen Hocker in der Nähe ihres eigenen Stuhles, damit sie Alys' Gesicht beobachten konnte, während sich die anderen unterhielten.
    »Du bist sehr still«, sagte sie zu Alys.
    Alys sah sie mit höflichem, ergebenem Lächeln an. »Ich habe zugehört, Mylady«, erwiderte sie.
    »Du erzählst nie von deinen eigenen Verwandten«, sagte Lady Catherine. »Hast du denn noch Familie, außer der verrückten Alten auf dem Moor?«
    »Nein. Außer denen in Penrith«, verbesserte sie sich hastig.
    Lady Catherine nickte. »Und keinen Herzallerliebsten? Keinen Verlobten?« fragte sie ganz beiläufig. Die anderen schwiegen und lauschten dem Verhör.
    Alys lächelte mit einem winzigen Achselzucken, um ihr Bedauern zu zeigen. »Nein«, sagte sie. »Jetzt nicht mehr. Einst hatte ich einen Herzallerliebsten.« Sie warf Mistress Allingham einen kurzen Blick zu. »Ihr habt sicher schon von ihm gehört, Mistress Allingham. Tom, der Schafzüchter. Aber ich hatte keine Mitgift. Dann bin ich weggegangen nach Penrith, und er hat ein anderes Mädchen geheiratet.«
    »Vielleicht sollten wir dich mit einer Mitgift ausstatten und dich verheiraten«, meinte Lady Catherine. »Hier ist das Leben für dich langweilig, und hier sieht dich kein Mann. Für uns ist das das richtige — wir sind alle verheiratet oder verwitwet oder verlobt —, aber ein Mädchen wie du sollte heiraten und Kinder bekommen.«
    Alys spürte die Falle, die sich vor ihr auf tat. »Ihr seid zu gütig, Mylady«, sagte sie zögernd.
    »Das wäre also geregelt!« sagte Lady Catherine fröhlich. Ihre Stimme hatte die Sanftheit eines Diamanten, der über Glas kratzt. »Ich werde Lord Hugo bitten, sich unter den Soldaten nach einem guten Mann für dich umzuschauen, und ich selbst werde dir eine Mitgift geben.«
    »Ich kann nicht heiraten. Ich kann nicht heiraten, wenn ich mir meine Künste erhalten will.«
    »Wie das?« fragte Lady Catherine und machte ihre grauen Augen ganz groß. »Eine Heilerin braucht doch wohl keine Jungfrau zu sein, außer sie übt sich in Magie.«
    »Ich habe nichts mit Magie zu tun«, sagte Alys hastig. »Ich bin nur kräuterkundig. Aber ich könnte meine Arbeit nicht machen, wenn ich einem Mann gehörte. Es ist zeitaufwendig und erschöpfend. Meine Verwandte lebt auch allein.«
    »Aber sie ist eine Witwe«, unterbrach sie Mistress Allingham und wurde mit einem kleinen Lächeln von Lady Catherine belohnt.
    »Man kann also doch heiraten und seine Künste behalten«, sagte Lady Catherine triumphierend. »Du bist nur schüchtern, Alys, mehr nicht. Aber ich verspreche dir, wir werden einen kräftigen jungen Ehemann finden, der für dich sorgt und sanft mit dir umgeht.«
    Eliza Herring und Margery kicherten hinter vorgehaltener Hand. Ruth, die Lady Catherine mehr fürchtete als die beiden, verhielt sich ganz ruhig und beugte sich tiefer über ihre Stickerei.
    »Du dankst mir nicht?« fragte Lady Catherine. Ihre Stimme klang klar, aber der Unterton ließ aufhorchen. »Du dankst mir nicht für mein Angebot, dir eine Mitgift zu geben? Und dich mit einem guten Mann zu verheiraten?«
    »O doch, das tue ich in der Tat«, sagte Alys mit ihrem klaren, ehrlichen Lächeln. »Ich danke Euch wirklich ganz herzlich, Mylady.«
    Lady Catherine wechselte das Thema. Sie hatte einen Brief eines entfernten Verwandten aus dem Süden erhalten, in dem dieser vom König erzählte und von dessen wachsender Kälte gegenüber seiner jungen Königin Anne Boleyn, obwohl sie schon wieder ein Kind von ihm erwartete. Alys, für die der König und seine Hure, seine angemaßte Königin, selbst schuld an all ihrem Unglück hatten, lächelte mechanisch und hörte zu. Sie hoffte, Lady Catherine hatte sie mit den Versprechungen, sie zu verheiraten, nur amüsieren wollen.
    »Und die neue Königin war nur Kammerzofe im Schlaf - gemach der alten Königin, als der König sie entdeckte«, sagte Eliza Herring taktlos. »Man stelle sich vor! Gestern dient man noch der Königin, und heute ist man selber eine!«
    »Und die, auf die er jetzt ein Auge geworfen hat, Lady Jane Seymour, hat ihnen beiden gedient«, fuhr Margery fort. »Sie hat der alten Königin gedient — der falschen, meine ich — und jetzt Königin Anne.«
    »Hofdame scheint eine vorteilhafte Position zu sein«, meinte Eliza.

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