Die weise Frau
Gedanken an die Äbtissin, die Alys wie eine Tochter geliebt hatte und die still weiterschlief, während der Rauch immer dichter wurde, bis die Flammen an ihrer Matratze züngelten, ihr Leinenhemd und dann ihr müder, alter Körper Feuer fingen.
»Die einzige von dreißig«, sagte Morach mit makabrem Stolz. »Die einzige — der größte Feigling, der schnellste Fuß, der flinkeste Wendehals.«
Alys beugte den Kopf. »Nicht, Morach«, sagte sie leise.
Morach trank schlürfend einen Schluck Kamillentee. »Was wirst du also tun?« fragte sie.
Alys hob herausfordernd den Kopf. »Ich lasse mich nicht unterkriegen!« sagte sie. »Ich laß mich nicht dazu zwingen, auch eine dreckige alte Hexe im Moor zu werden. Ich will keine Hofdame werden und auch nicht Sekretär. Ich will gut essen und gut schlafen, gutes Tuch tragen und trockenen Fußes reiten, und ich lasse mich nicht dazu zwingen, das Leben einer gewöhnlichen Frau zu führen. Ich lasse mich nicht an irgendeinen Tölpel verheiraten, bei dem mein tägliches Leben nur aus Arbeit besteht und ich jedes Jahr mein Leben für ein Kind riskieren muß. Ich gehe wieder in ein Kloster, wo ich hingehöre. Ich werde es schaffen. Der alte Lord wird sein Versprechen nicht brechen. Wenn ich mich den Aufmerksamkeiten Lord Hugos und der Bosheit seiner Frau entziehen kann, und wenn ich es schaffe, Jungfrau zu bleiben, an einem Ort, an dem man nur an Wollust denkt, dann kann ich wieder zurück ins Kloster.«
Morach nickte. »Um das zu erreichen, wirst du viel Glück und Macht brauchen«, sagte sie nachdenklich. »Da gibt's nur eine Möglichkeit.« Sie verstummte.
Alys beugte sich vor. »Sprich«, sagte sie.
»Einen Pakt«, erwiderte Morach. »Einen Pakt mit dem Teufel selbst. Bitte ihn, dich vor dem jungen Lord zu schützen, er soll seine Augen auf ein anderes Ziel richten. Ich weiß genug von Schwarzer Magie, um dich auf den rechten Weg zu bringen. Wir könnten den Herrn der Finsternis heraufbeschwören, er würde kommen, um dich zu holen, kein Zweifel bei einer so gläubigen kleinen Seele. Du könntest dir auf ewig deine Bequemlichkeit sichern. Das wäre dein Weg zu Frieden, Ordnung und Sicherheit. Wenn du dich dem Teufel verschreibst, wirst du nie wieder eine gewöhnliche Frau sein.«
Einen Augenblick lang zögerte Alys, als wäre sie versucht, sich kopfüber in die Hölle zu stürzen, doch dann begrub sie ihr Gesicht in den Händen, und ein gequältes Stöhnen entwich ihrer Brust. »Ich will nicht!« schrie sie, als wäre sie plötzlich wieder ein kleines Mädchen. »Ich will aber nicht, Morach! Ich will einen Mittelweg. Ich will nur ein bißchen Wohlstand und ein bißchen Freiheit! Ich will wieder zurück ins Kloster zu Mutter Hildebrande. Ich fürchte mich vor dem Teufel! Ich fürchte mich vor dem Hexenfänger! Ich fürchte den jungen Lord und seine eiskalte Frau! Ich will irgendwohin, wo es sicher ist! Ich bin zu jung, um mich selbst zu beschützen! Ich will Mutter Hildebrande! Ich will meine Mutter!«
Das Gesicht in den Armen verborgen, löste sich ihre Anspannung in Tränen. Morach verschränkte die Arme, richtete den Blick starr ins Feuer und wartete darauf, daß Alys sich wieder beruhigte. Ihr Kummer ließ sie völlig ungerührt.
»Es gibt keine Sicherheit für dich oder mich«, sagte sie gleichmütig, als Alys etwas ruhiger geworden war. »Wir sind Frauen, die sich dem, was Männer wollen, nicht anpassen. Für uns gibt es keine Sicherheit. Jetzt nicht und niemals.«
Morach ließ sich von dem Schluchzen nicht erweichen. So verstummte Alys und rieb ihr Gesicht mit ihrem feinen, wollenen Unterärmel.
»Dann gehe ich zurück ins Schloß und versuche mein Glück«, sagte Alys resigniert.
Morach nickte.
»Unsere Liebe Frau hat mich einmal auserwählt«, sagte Alys mit sehr leiser Stimme, da es ein heiliges Geheimnis war. »Sie hat mir ein Zeichen geschickt. Obwohl ich schwer gesündigt habe, hoffe und vertraue ich darauf, daß sie mich zu sich zurückführen wird. Sie wird mir eine Buße auferlegen und mir Absolution erteilen. Sie hat mich doch nicht auserwählt, nur um zu sehen, wie ich versage.«
Morach hob interessiert die Braue. »Kommt darauf an, was für eine Art Göttin sie ist«, sagte sie kritisch. »Es gibt welche, die dich nur erwählen würden, um zu sehen, wie du versagst. Daran haben sie ihre Freude.«
»Oh«, Alys zuckte ungeduldig die Achseln. »Du bist eine Heidin und eine Ketzerin, Morach. Mit dir zu reden ist reine Zeitverschwendung.«
Morach
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