Die weise Frau
stießen sie sanft gegen ihr Bein. Alys war versucht gewesen, sie aus dem Fenster in den tiefen Schloßgraben zu schleudern. Es würde ihren Tod bedeuten, wenn man sie bei ihr fände, und sie wagte nicht, sie irgendwo im Schloß zu verstecken. Sie hatte noch nicht den Mut gefunden oder war noch nicht verzweifelt genug, sie zu benutzen. Sie klammerte sich an sie wie an einen Talisman, eine letzte Waffe, die bereit war, wenn je ihre Zeit kommen sollte.
Der herbe, kühle Geschmack des Weins durchflutete ihren Körper. »Ich werde wohl allmählich betrunken«, dachte sich Alys. Alle Stimmen kamen aus weiter Ferne, und die Gesichter um den Tisch flackerten wie im Nebel.
»Ich wünschte...«, sagte Alys undeutlich.
Eliza und Margery stießen sich kichernd an.
»Ich wünschte, ich wäre Lady Catherine«, stammelte Alys.
Ruth, die Stille, warf einen Blick über die Schulter und sah, daß die beiden Lords, beobachtet von Lady Catherine, immer noch Geschenke austeilten.
»Warum?« fragte sie.
»Weil...«, sagte Alys langsam. »Weil...«, sie hielt wieder inne. »Ich möchte ein eigenes Pferd«, sagte sie schlicht. »Und ein Kleid, ein neues Kleid — nicht eines, das jemand anderem gehört hat. Und einen Mann...«
Eliza und Margery kreischten vor Lachen. Sogar Ruth und Mistress Allingham kicherten hinter vorgehaltenen Händen.
»Einen Mann, der mich in Ruhe läßt«, sagte Alys bedächtig. »Einen Mann, der an mich gebunden und mit mir verheiratet ist, aber einen Mann, der mich in Ruhe läßt.«
»Eine schöne Ehefrau wirst du abgeben!« sagte Eliza lachend. »Der arme Peter wird nicht viel zu lachen haben.«
Alys hatte sie nicht gehört. »Ich möchte mehr als gewöhnliche Frauen«, sagte sie traurig. »Ich möchte so viel mehr.«
Alle lachten jetzt unverhohlen. Alys mit ihrer schweren Haube, die jetzt langsam von ihren kurzen Locken rutschte, und dem ernsten, blassen Gesicht war ungeheuer komisch. Ihre tiefblauen Augen starrten blind in die Kerzen. Der junge Lord Hugo, der für alles, was Alys betraf, einen sechsten Sinn entwickelt hatte, schaute sich um und erfaßte die Szene mit einem kurzen Blick.
»Dein junger Sekretär verträgt scheint's den Wein nicht so gut«, sagte er leise zu seinem Vater.
Der alte Lord sah sich um. David forderte seine Aufmerksamkeit für einen weiteren Soldaten, der sein Geschenk haben wollte.
»Sie sollen sie auf ihr Zimmer bringen«, sagte er kurz zu dem jungen Lord. »Bevor sie auf ihr Kleid kotzt und sich blamiert.«
Hugo nickte und schob seinen Stuhl zurück. Lady Catherine hatte den leisen Wortwechsel nicht gehört und hob überrascht den Kopf. »Mein Vater hat einen Auftrag für mich, ich bin gleich wieder da«, sagte er leise zu ihr und wandte sich dann den Frauen zu..
»Komm, Alys«, sagte er streng.
Alys hob den Kopf. Sein Gesicht war nur eine Silhouette gegen das Kerzenlicht in der Halle. Sie sah das Blitzen seines Lächelns. Die Frauen waren aufgescheucht wie Hühner im Stall, wenn der Fuchs durch die Tür kommt.
»Ich begleite dich in die Gemächer von Mylady«, sagte er streng. »Du«, er nickte Eliza zu, »kommst auch mit.«
Alys erhob sich langsam. Wie von Zauberhand begann der Boden unter ihren Füßen sich aufzulösen. Lord Hugo fing die Schwankende auf und hob sie hoch. Er nickte Eliza zu, die den Gobelin beiseite zog und die kleine Tür hinter der Plattform öffnete. Sie traten in den Vorraum hinter der Halle und gingen dann die flachen Steinstufen zu Lady Catherines Gemächern hinauf. Eliza schwang die Tür weit auf, und Hugo schritt mit Alys auf dem Arm in die Galerie.
»Du kriegst einen Schilling, wenn du hier Wache stehst und den Mund hältst«, sagte er kurz zu Eliza.
Ihre braunen Augen waren riesig groß. »Ja, Mylord«, sagte sie. »Und wenn du klatscht, werde ich dich auspeitschen lassen«, sagte er freundlich. Eliza spürte, wie sein Lächeln ihre Knie weich werden ließ.
»Ich schwöre es, Mylord«, sagte sie atemlos. »Ich tu alles für Euch.«
Er bedeutete ihr mit dem Kopf, die Tür zur Kammer der Frauen zu öffnen, und sie huschte an ihm vorbei und riß sie auf. Er trug Alys mühelos die lange Galerie entlang. Sie schlug die Augen auf und sah, wie das Mondlicht vom Fenster kurz sein Gesicht erleuchtete, dann waren sie wieder im Schatten. Er schob die Tür zum Frauengemach auf und legte Alys auf einen Strohsack.
Ohne jede Hast zog er die Nadeln aus ihrer Haube und warf sie beiseite. Alys fiel in die Kissen zurück. Ihr Gesicht war bleich,
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