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Die weise Frau

Die weise Frau

Titel: Die weise Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippa Gregory
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gestern die Treppe hinaufgetragen?« Lady Catherines messerscharfe Stimme schnitt der Vorleserin das Wort ab. Alys blinzelte. »Den ganzen Weg bis in dein Zimmer hat er dich getragen, nicht wahr?«
    »Es tut mir leid, Mylady«, sagte Alys. »Ich kann mich nicht erinnern. Mir war übel, und ich wußte nicht, was ich tat.«
    »Hat er sie getragen?« Lady Catherine wandte sich an Eliza.
    »Ja«, gab Eliza zu. Heute morgen tat ihr alles weh, und sie gab Alys die Schuld daran, daß Hugos Lüsternheit in Gewalttätigkeit umgeschlagen war.
    »In euer Zimmer?« fragte Lady Catherine.
    »Ja«, sagte Eliza wieder.
    »Du warst bei ihnen?« wollte Lady Catherine wissen.
    Eliza zögerte. Sie hätte sich zu gerne an Hugo gerächt, indem sie erzählte, daß er ihr befohlen hatte, draußen zu warten. Aber das war zu riskant. Der Zorn des jungen Lords war unberechenbar, und sie hatte Flecken auf ihrem Gewand und zwei silberne Sixpencestücke, die eine Anklage gegen sie unterstützen würden.
    »Ja«, sagte sie. »Er hat sie auf ihren Strohsack geworfen und gesagt, ich soll ein Auge auf sie haben und aufpassen, daß sie sich nicht übergibt und wie ein Hund in ihrer Kotze liegenbleibt.«
    Alys' blasse Haut entflammte scharlachrot.
    »Wie unangenehm für ihn«, sagte Lady Catherine sanft triumphierend. »Ich glaube, es wäre besser, wenn du in Zukunft Bier trinkst, Alys.«
    »Das glaube ich auch, Mylady. Das alles tut mir sehr leid.«
    Lady Catherine nickte mit eisigem Lächeln und stand auf, während Mistress Allingham das Spinnrad für sie in einen Flecken Wintersonne rückte, der auf den Holzboden fiel.
    »Hat er das getan?« flüsterte Alys Eliza hektisch zu. »Hat er mich hingeworfen?«
    »Er hat sich neben dich gelegt«, zischte Eliza giftig. »Ich hab dir deine Haut bei Mylady gerettet, weil ich das nicht erzählt habe. Er hat mir zwei Silberstücke gegeben, damit ich Wache halte. Ich hab an der Tür aufgepaßt, während er dich auf deinen Strohsack geworfen, dich ausgezogen und seinen Finger in dich gesteckt hat.«
    Alys wurde schneeweiß und sah aus, als würde sie gleich umfallen. »Das ist nicht möglich«, sagte sie.
    »Es ist passiert«, sagte Eliza barsch. »Ich hab gesehen, wie er's gemacht hat.«
    »Aber ich fühle nichts«, sagte Alys.
    »Was habt ihr Mädchen denn so eifrig zu flüstern?« unterbrach sie Lady Catherine.
    »Ach, nur wegen der Farbe der Seide, Lady Catherine«, sagte Eliza schnell. »Ich finde sie zu grell. Alys will es so lassen, wie es ist.«
    Eliza nahm den Gobelin, den Alys in der vergangenen Woche mit so viel Mühe gestickt hatte, und Lady Catherine begutachtete ihn kritisch. »Trenn es auf«, sagte sie. »Du hast recht, Eliza, es muß blasser sein, das sieht doch jeder. Alys wird mit dem Vorlesen aufhören müssen, alles auftrennen und noch einmal von vorne anfangen.«
    Alys nahm eine Silberschere und begann, die Fäden aufzuschneiden, sieben Tage Arbeit umsonst. Eliza beugte sich darüber.
    »Es hat nicht weh getan, weil du es wolltest«, flüsterte sie. »Du hast zugelassen, daß er dir das Kleid auszieht, und du hast seine Hand genommen und sie hineingeführt, wie eine Schlampe! Und das, nachdem du dauernd schreist, du willst nie einen Mann haben.«
    Alys spürte, wie ihre Welt aus den Angeln kippte und ins Schwanken geriet. »Das kann nicht sein«, sagte sie.
    Eliza hob die Schultern. »Erinnerst du dich denn an gar nichts?«
    Alys schloß die Augen. Vage, wie ein Traum regte sich eine Erinnerung an schläfrige Sinnlichkeit, an eine Sicherheit und Zuneigung, wie sie sie im wachen Leben nie erfahren hatte. Sie erinnerte sich an eine Geste, sie war zur Seite gerollt, hatte seinen Arm herübergezogen und zwischen ihre Schenkel gelegt. Ihr Gesicht glänzte schweißnaß und scharlachrot.
    »Oh, mein Gott«, sagte sie.
    »Woran erinnerst du dich?« fragte Eliza begierig. »Was hast du gesagt, damit er aufhört?«
    Alys schüttelte wortlos den Kopf. »Ich habe ihn begehrt«, sagte sie. Ihre Stimme klang hohl vor lauter Unglück.
    »Was?«
    »Ich war betrunken und habe ihn begehrt«, sagte Alys wieder. »Wenn er mich hätte nehmen wollen, hätte er mich haben können. Du hättest ihn nicht daran gehindert, und ich hätte nicht gewollt, daß er aufhört. Er hätte mich haben können wie jede kleine Hure im Schloß, mir hätten die Worte gefehlt, ihn aufzuhalten. Ich war im Banne der Wollust. Er hätte mich haben können.« Sie rieb sich mit dem Handrücken über die Augen. »Ich bin verloren, wenn ich

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