Die weise Frau
Hughs Halle?«
Alys nickte.
»Ich war schon mal hier als Zeuge, als man Farmer Ruley wegen Diebstahls angeklagt hat«, sagte Morach. »Der alte Lord saß hinter dem Tisch auf seinem großen geschnitzten Stuhl.«
»Hier hält er vierteljährlich Gericht«, sagte Alys kurz. »Und hier ißt er mittags und abends.« Sie zog Morach die Treppe zur Plattform hoch und schlug den Gobelin am hinteren Teil der kleinen Bühne beiseite. »Hier kommen wir herein«, sagte sie. »Hier draußen im Vorraum warten wir, wenn wir früher dran sind als die Lords und Mylady. Manchmal treffen sie sich hier und unterhalten sich.« Sie deutete mit dem Kopf zu einer Tür. »Hier entlang geht's zu Lord Hughs Rundturm, seinen Soldaten und zum Schlafgemach des jungen Lords.« Sie zog Morach die Treppe zur Linken hoch. »Das ist die Treppe zur Damengalerie über der Halle — wir wohnen hier. Im Rundturm bist du nicht willkommen, außer auf Befehl des Lords.«
Morach nickte, folgte Alys die Treppe hinauf und sah sich unterwegs die Gobelins an, die zu beiden Seiten hingen.
»Ich soll ein neues Zimmer kriegen, das ich dann mit dir teile«, sagte Alys. »Aber wir sind immer noch im Frauenquartier untergebracht. Lady Catherine schläft neben der Galerie, die anderen Frauen teilen sich ein Zimmer gegenüber, und wir sollen ein reines Zimmer daneben kriegen. Da haben sie vorher Holz gelagert. Ich habe gesagt, wir brauchen Platz, um Kräuter zu destillieren und unsere Tränklein zuzubereiten. Mir wäre es lieber gewesen, wenn wir beim alten Lord im Turm untergebracht wären. Aber Catherine läßt mich nicht aus den Augen.«
»Wegen des jungen Lords?« fragte Morach etwas kurzatmig vom Treppensteigen.
Alys nickte. »Sie war eifersüchtig«, platzte es plötzlich aus ihr heraus. »Sie hat mich zu einem Gottesurteil gezwungen. Sie hat versucht, mich loszuwerden, Morach. Hugo hatte ihr erzählt, daß er mich liebt. Und gestern nacht war ich mit ihm allein, und er hat versprochen... hat versprochen...« Alys verstummte mit grimmigem, traurigem Gesicht. »Das alles spielt jetzt keine Rolle mehr«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Es ist gleichgültig, was er zu mir gesagt hat oder was für Pläne wir gemacht haben. Ich hab davon geträumt, hier seine Lady zu sein. Aber es hatte keine Bedeutung. Sie ist jetzt schwanger. Ihre Stellung ist unangreifbar.«
Morach nickte. Alys führte sie zur Damengalerie und öffnete die Tür in der rechten Ecke des Zimmers. »Lady Catherines Gemach liegt gegenüber«, sie deutete darauf. »Es geht auf den inneren Hof, deshalb ist es wärmer. Die anderen Damen schlafen neben uns, mit Blick auf den Fluß. Unser Zimmer ist wie ihres.«
Morach betrat das Zimmer und sah sich um. »Ein Bett«, stellte sie befriedigt fest. »Ich hab noch nie in einem Bett geschlafen.«
»Ein halbes Bett«, warnte sie Alys. »Wir müssen es teilen.«
»Und ein gutes Feuer und eine Truhe für unsere Sachen«, sagte Morach nach kurzer Bestandsaufnahme. »Ein kleiner Spiegel und ein Kasten. Alys, das ist viel komfortabler als die Kate für den Winter.«
»Und viel gefährlicher«, warnte Alys. »Das Gottesurteil war kein Scherz.«
Morachs Blick war ohne jedes Mitleid. »Du hast dich doch rausgelogen«, sagte sie ganz sachlich.
Alys nickte. »Ich habe teuer dafür bezahlt«, sagte sie sehr leise. Im Geiste sah sie immer noch die geweihte Hostie, die sie gekaut, geschluckt und dann völlig unversehrt in den Kamin erbrochen hatte. »Ich stehe außerhalb der Gnade Gottes«, sagte sie. »Danach habe ich die Puppen beschworen.«
»Das einzig Richtige«, sagte Morach. »Wenn ein Herr dich nicht beschützt, such dir einen anderen. Wie sollst du sonst überleben? Wenn du nicht in der Gnade Gottes stehst, mußt du dir die Magie zunutze machen. Sonst könntest du genausogut im Hemd in den Sturm hinaus gehn. Ein bißchen Macht braucht der Mensch.«
Alys nickte. »Hugo hat versprochen, mich zu beschützen«, sagte sie. »Erst gestern nacht hat er mir geschworen, er liebt mich — er hat gesagt, er würde Catherine aufgeben und sogar das Schloß, um mit mir zusammenzusein. Es ist genau, wie du prophezeit hast, Morach, und ich es geträumt habe. Er hat gesagt, er würde Catherine für mich aufgeben. Und ich habe gesagt, ich würde die Magie aufgeben. Er und ich sind ohne sie sicherer.«
Morach machte eine abfällige Geste mit einer schmutzigen Hand. »All diese Versprechungen«, sagte sie voll höhnischer Ehrfurcht. »Aber jetzt weiß er, daß seine Frau
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