Die Weisheit der Vielen - Surowiecki, J: Weisheit der Vielen - The Wisdom of Crowds
koordinieren? Oder, umgekehrt gefragt: Warum benötigen die Angestellten zu ihrer Koordination Zara? Wieso bedarf es großer Unternehmen, um die Tätigkeiten von Menschen und Güterbewegungen in aller Welt zu orchestrieren, wenn doch eine Koordination durch den Markt möglich ist? Warum existieren überhaupt Unternehmen?
Hier haben wir es mit einem echten Paradoxon zu tun: Obwohl alle Unternehmen auf dem Markt konkurrieren, setzen sie zur Verwirklichung ihrer Ziele essentiell marktfremde Instrumente ein – Pläne, Befehle, Kontrollen. Der britische Ökonom D. H. Robertson hat es bildhaft umschrieben: »In diesem Ozean unbewussten Kooperierens« stellen die Unternehmen »Inseln bewusst ausgeübter Macht dar; [sie sind] wie Klumpen von gerinnender Butter in einem Eimer Buttermilch«. Wenn Zara ein neues Kleidungsstück produzieren will, holt die Firma keine Angebote von draußen ein, um den günstigsten Preis zu finden. Vielmehr geben die Manager des Unternehmens dem eigenen Designteam den Entwurfauftrag. Das Unternehmen vertraut den angestellten Designern, dass sie für ihren Arbeitgeber gute Arbeit leisten werden, und die Designer vertrauen dem Unternehmen, dass sie nicht nach etwaigen Missgriffen bei Entwürfen auf die Straße gesetzt werden.
Warum gibt Zara den Designauftrag nicht einfach außer Haus? Aufträge wie Hausmeisterdienste und Rasenpflege werden von den meisten Unternehmen doch auch an Betriebsfremde erteilt. Andere Firmen lagern die gesamte Produktion ihrer Waren aus. (So hat Nike beispielsweise keine eigenen Fabriken.) Warum da stehen bleiben? Warum hält man sich nicht an die Produktionsweise eines Kleinfilms? Unabhängige Filmemacher haben kein fest angestelltes Personal. Da tun sich nur ein paar Leute zusammen: Einer schreibt das Drehbuch; einer erklärt sich bereit, Regie zu führen; ein anderer stellt das Kapital zur Verfügung; man wählt die Schauspieler und ein Produktionsteam aus; der Film wird gedreht, man sucht sich eine Verleihfirma, und die Gruppe geht wieder auseinander, vielleicht ohne dass man sich je wiedersieht. Warum wird nicht alles so gemacht?
Die erste – und immer noch beste – Antwort auf diese Frage fand der britische Ökonom Ronald Coase bereits im Jahr 1937. Für ein komplettes Outsourcing sah Coase folgende Schwierigkeit: All die vielen dazu erforderlichen Verhandlungen und Verträge kosten eine Menge Zeit und Mühe. Es ist aufwändig, die jeweils richtigen Leute aufzutreiben und jedes Mal neu den zu zahlenden Preis auszuhandeln. Es ist aufwändig, dafür zu sorgen, dass alle ihre Zusagen einhalten. Und es kostet Mühe und Zeit, dass zu guter Letzt alle das ihnen zustehende Geld bekommen. Coase fasste diese Faktoren mit dem Begriff »Transaktionskosten« zusammen, wozu auch »Recherche- und Informationskosten, Unkosten durch Verhandlungen und zur Entscheidungsfindung, die Kosten zur Aufrechterhaltung reibungsloser Abläufe und für Zwangseintreibungen« zählen. Bei einem richtig geführten Unternehmen fallen die Transaktionskosten niedriger aus. Wenn Ihr E-Mail-System im Eimer ist, lässt sich die Sache rascher und einfacher durch den Bürotechniker im Haus als durch eine externe Firma beheben. Für ein Unternehmen ist es oft vernünftiger, Vollzeitbeschäftigte zu haben, die für anfallende Arbeiten jederzeit zur Verfügung stehen, als jedes Mal neu nach qualifizierten Leuten Ausschau halten zu müssen. Und ganz gewiss ist es beim Planen von Zukunftsprojekten sehr viel leichter, wenn man ein Unternehmen mit tausenden Beschäftigten hat, als für jede Planung ein neues Team zusammentrommeln zu müssen. Außerdem: Wer, wenn nicht ein Großunternehmen, würde für den Bau einer Halbleiterfabrik, die die Produktion erst in drei Jahren aufnehmen wird, schon zwei Milliarden Dollar investieren?
Die interne Aufgabenlösung hat natürlich ihre eigenen Schwierigkeiten. Da können dann manchmal die Vorzüge des Outsourcings überwiegen. Nehmen wir zum Beispiel dieses Buch. Ich bin kein Angestellter von Doubleday – stattdessen habe ich mit diesem Verlagshaus einen Vertrag über ein Werk geschlossen, das mein Vertragspartner verkaufen wird. Theoretisch könnte der Verlag sich einen Stab von fest angestellten Autoren halten. Es würde ihm ersparen, an Auktionen für Buchrechte teilzunehmen oder mit Literaturagenten zu verhandeln (da hätte er es vermutlich zudem mit Autoren leichter, die ihre Termine nicht einhalten). Der Verlag ist jedoch der Überzeugung, er habe mehr
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