Die Weisheit des Feuers
Körper trafen. Sie stellte sich vor, wie ihre Schuppen im gleißenden Licht funkeln mussten und wie etwaige Beobachter staunten, die sie am Himmel vorbeifliegen sahen. Sie summte vor Entzücken, weil sie wusste, dass sie das schönste Geschöpf in ganz Alagaësia war. Denn wer konnte schon mit ihren azurblauen Schuppen mithalten, dem langen, spitz zulaufenden Schwanz, den anmutig geschwungenen Krallen und den scharfen weißen Reißzähnen, mit denen sie einem wilden Ochsen mit einem einzigen Biss das Genick brechen konnte? Jedenfalls nicht
Glaedr-mit-den-goldenen-Schuppen,
der beim Untergang der Drachenreiter ein Bein verloren hatte. Ebenso wenig Dorn oder Shruikan, denn beide waren Galbatorix’ Sklaven und die Knechtschaft hatte ihren Verstand verwirrt. Ein Drache, der nicht frei war, zu tun, was ihm gefiel, war kein richtiger Drache. Außerdem waren es Männchen, die mit ihren Muskelbergen zwar majestätisch und furchterregend aussahen, aber bei Weitem nicht ihre anmutige Schönheit besaßen. Nein, sie war das prachtvollste Geschöpf in ganz Alagaësia, und so sollte es auch sein.
Ein wohliges Kribbeln durchströmte Saphira vom Kopf bis zur Schwanzspitze. Es war einfach ein perfekter Tag. Das Feuer der Sonne gab ihr das Gefühl, in einem Nest aus Kohlen zu liegen. Sie war satt, der Himmel war klar, und sie hatte keine weiteren Pflichten, außer nach Feinden Ausschau zu halten, die auf einen Kampf aus waren. Und das war ihr sowieso schon zur Gewohnheit geworden.
Ihr Glück wurde nur durch einen einzigen Umstand getrübt, aber der wog schwer, und umso länger sie darüber nachdachte, desto unzufriedener wurde sie. Bis sie schließlich merkte, dass ihr Hochgefühl verflogen war. Sie wünschte, Eragon wäre bei ihr - oder sie bei ihm. Knurrend stieß sie einen bläulichen Feuerstrahl aus. Dann klappte sie das Maul zu und schnitt den Strom aus flüssigem Feuer ab. Ihre Zunge kribbelte von den Flammen, die darüber hinweggelodert waren. Wann würde ihr Reiter,
Gefährte-ihres-Geistes-und-Herzens-Eragon,
sich endlich aus Tronjheim melden und Nasuada bitten, sie - Saphira - zu ihm zu schicken? Zwar hatte sie ihn dazu gedrängt, seiner Lehnsherrin zu gehorchen und in die
Berge-höher-als-ein-Drache-fliegen-kann
zu reisen, aber allmählich wurde ihr die Zeit lang und sie verspürte in sich eine kalte Leere.
Ein Schatten liegt über der Welt,
dachte sie.
Das beunruhigt mich. Etwas stimmt nicht mit Eragon. Er ist in Gefahr oder war es zumindest bis vor Kurzem. Und ich kann ihm nicht helfen.
Sie war kein wilder Drache. Seit sie geschlüpft war, hatte sie ihr ganzes Leben mit Eragon verbracht, und ohne ihn fühlte sie sich nur halb. Falls er sterben würde, weil sie ihm nicht zur Seite gestanden hatte, hätte sie keinen Grund mehr weiterzuleben, außer um Rache zu nehmen. Sie würde seine Mörder in Stücke reißen und anschließend in die schwarze Stadt des
Drachenei-Räubers
fliegen, der sie so viele Jahrzehnte gefangen gehalten hatte, und alles daransetzen, ihn ins Jenseits zu befördern, auch wenn das ihren sicheren Tod bedeuten würde.
Saphira knurrte und schnappte nach einem winzigen Sperling, der leichtsinnig genug war, in Reichweite ihrer Zähne vorbeizufliegen. Aber sie verfehlte ihn. Der Vogel flatterte fröhlich weiter, was ihren Unmut noch steigerte. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken, ihn zu verfolgen, entschied dann aber, dass ein solcher Winzling die Mühe nicht lohnte. Er würde ja noch nicht mal einen ordentlichen Imbiss abgeben.
Sie neigte sich in den Wind und schwang den Schwanz dabei in die entgegengesetzte Richtung, um sich die Drehung zu erleichtern, kippte nach vorn und blickte zur Erde hinab. Sie sah die kleinen davonhuschenden Wesen, die versuchten, sich vor ihren Jägeraugen zu verstecken. Selbst aus dieser großen Höhe konnte sie die Federn auf dem Rücken eines Habichts zählen, der über die Getreidefelder westlich des Jiet-Stroms hinwegglitt. Sie sah braunes Fell aufblitzen, als ein Kaninchen rasch in seinen Bau flüchtete. Sie entdeckte die kleine Hirschherde, die am Ufer eines Nebenflusses des Jiet-Stroms unter den Zweigen der Johannisbeersträucher Schutz suchte. Und sie hörte das hohe Quieken verängstigter Tiere, die ihre Brüder vor dem Drachen am Himmel warnten. Ihre zitternden Schreie erfüllten sie mit Zufriedenheit. Es war nur berechtigt, dass ihre Nahrung sie fürchtete. Sollte es jemals anders sein, würde sie wissen, dass ihre Zeit zu sterben
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