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Die Weiße Burg

Die Weiße Burg

Titel: Die Weiße Burg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Jordan
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eigenen Herzens sein müssen. Alviarin kannte sie alle, aber die anderen kannten sie nicht. Außerdem würde sie sich keinem offenbaren, wenn sie es nicht musste. Vielleicht würden einige dieser wunderbaren Instrumente aus dem Zeitalter der Legenden, von denen Mesaana immer sprach, ihr eines Tages erlauben, jede Schwester auf der Stelle zu befragen - falls die Frau sie jemals besorgte -, aber jetzt musste man noch immer verschlüsselte Befehle auf Kopfkissen oder an geheimen Stellen hinterlassen. Was ihr einst wie augenblickliche Erwiderungen vorgekommen war, kam ihr jetzt unendlich langsam vor. Ein stämmiger, kahlköpfiger Diener, der sich verbeugte, schluckte deutlich hörbar, und sie glättete ihre Züge. Sie war stolz auf ihre eiskalte Gleichgültigkeit und zeigte immer eine kühle, glatte Oberfläche. Sich mit finsterer Miene ihren Weg durch den Turm zu bahnen würde ihr nicht das Geringste bringen.
    Es gab jemanden im Turm, von dem sie genau zu wissen glaubte, wo sie ihn finden würde, jemand, von dem sie Antworten verlangen konnte, ohne sich darüber Sorgen machen zu müssen, was die Frau wohl dachte. Natürlich war auch hier eine gewisse Vorsicht angebracht - sorglose Fragen enthüllten mehr, als die meisten Antworten wert waren -, aber Elaida würde ihr alles sagen. Mit einem Seufzen erklomm Alviarin die erste Stufe.
    Mesaana hatte ihr von einem anderen Wunder aus dem Zeitalter der Legenden erzählt, das sie sehr gern sehen würde, ein Ding namens »Aufzug«. Die fliegenden Maschinen klangen natürlich viel großartiger, aber es war viel einfacher, sich einen mechanischen Apparat vorzustellen, der einen von einer Etage zur nächsten brachte. Sie wusste nicht, ob sie wirklich glauben sollte, dass es Gebäude gegeben hatte, die die mehrfache Höhe des Turms der Weißen Burg aufwiesen - auf der ganzen Welt kam nicht einmal der Stein von Tear an die Höhe des Turms heran -, aber allein das Wissen um diese »Aufzüge« ließ das Erklimmen der spiralförmigen Gänge und breiten Treppen mühsam erscheinen.
    In der dritten Etage blieb sie vor dem Studierzimmer der Amyrlin stehen, aber wie erwartet waren beide Räume leer, die freigeräumten Schreibtische auf Hochglanz poliert. Die Räume selbst erschienen karg ohne Wandbehänge oder Verzierungen, hier gab es nur Tische und Stühle und Stehlampen. Elaida kam nur noch selten aus ihren Gemächern in der Nähe der Turmspitze nach unten. Das war früher durchaus akzeptabel erschienen, da es die Frau noch mehr vom Rest der Burg isolierte. Nur wenige Schwestern stiegen freiwillig so hoch. Doch als Alviarin heute etwa achtzig Spannen erklommen war, dachte sie ernsthaft darüber nach, Elaida wieder dazu zu bewegen, nach unten zu ziehen.
    Elaidas Vorzimmer war natürlich leer, auch wenn eine Mappe mit Papieren auf dem Schreibtisch bedeutete, dass jemand da gewesen war. Doch es konnte warten, ihren Inhalt zu sichten und zu entscheiden, ob Elaida für ihren Besitz bestraft werden musste. Alviarin warf ihren Umhang auf den Schreibtisch und stieß die neue Tür auf, die mit einer geschnitzten Flamme von Tar Valon versehen war und darauf wartete, vergoldet zu werden, und die tiefer in die Gemächer hineinführte.
    Die Erleichterung, die sie verspürte, als sie Elaida hinter dem mit Schnitzwerk übersäten und vergoldeten Schreibtisch sitzen sah, die siebenfach gestreifte Stola um den Hals - nein, es waren nur noch sechs Streifen - und die Flamme von Tar Valon in Mondsteinen in die Goldarbeiten der hohen Stuhllehne eingelegt, überraschte sie. Da war die nagende Sorge gewesen, die sie bislang verdrängt hatte, dass die Frau durch einen dummen Unfall zu Tode gekommen war. Das hätte Zemailles Bemerkung erklärt. Eine neue Amyrlin zu wählen hätte Monate gekostet, selbst mit den Rebellen und allem anderen, mit dem sie sich auseinander setzen mussten, aber ihre Tage als Behüterin wären gezählt gewesen. Was sie jedoch mehr als ihre Erleichterung überraschte, war die Anwesenheit der Hälfte der Sitzenden des Saals, die mit ihren fransenbesetzten Stolen vor dem Schreibtisch standen. Elaida wusste es besser, als diese Art Delegation ohne ihre Anwesenheit zuzulassen. Die riesige vergoldete Standuhr an der Wand, auf vulgäre Weise übertrieben verziert, schlug zweimal zum Hoch - kleine glasierte Aes Sedai-Figuren sprangen aus den winzigen Türen an der Vorderseite -, gerade als Alviarin den Mund öffnete, um den Sitzenden zu sagen, dass sie mit der Amyrlin unter vier Augen sprechen

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