Die weiße Frau von Devils Rock
Vielleicht wirst du dich sogar eines Tages an dieses Buch erinnern. Es hat dir einmal sehr viel bedeutet. Nimm es, und pass gut darauf auf." Zärtlich nahm die Frau das eingewickelte Etwas und drückte es für einen kurzen Moment an ihr Herz.
"Was soll ich damit? Warum geben Sie es mir, wenn es Ihnen so viel bedeutet? Ich will es nicht haben." Obwohl alles in ihr sich dagegen sträubte, nahm Christina das Buch doch an sich.
"Geh jetzt. Und kommt nie wieder zu mir. Such mich nicht, du wirst mich nicht mehr finden. Ich habe meine Aufgabe in diesem Leben erfüllt und kann jetzt ruhig sterben." Energisch schob die Frau ihren kleinen Gast zur Tür hinaus. "Lebe wohl, kleine Christina. Ich bin dem Schicksal dankbar, dass wir uns doch noch getroffen haben. Ich habe nicht mehr darauf gehofft."
Ohne sich noch einmal umzudrehen, ging Christina auf das schiefe Holztor zu, das die beiden Mauerenden miteinander verband. Sie lief ein ganzes Stück den Weg zurück, den sie vorher gekommen war. Verwundert stellte sie fest, dass es noch immer dämmerte. Dabei hatte sie das Gefühl, eine ganze Zeitlang bei der fremden Frau verbracht zu haben. Dennoch war es noch immer nicht Nacht.
Abrupt blieb das Mädchen stehen und drehte sich um in der Erwartung, die Fremde würde am Tor stehen und ihr nachsehen. Sie hatte bereits eine Hand erhoben und wollte winken. Doch da war kein Tor, da war auch keine Mauer. Sogar das alte Häuschen war verschwunden.
"Ich glaube es ja nicht", stotterte Christina überrascht. Würde sie nicht in heller Aufregung das alte Buch an sich pressen, dann würde sie denken, sie sei auf ihrem Bett eingeschlafen und hätte das alles nur geträumt.
Die verschiedensten Fragen stürmten auf das Mädchen ein. War das Häuschen einfach so verschwunden? Oder hatte sie sich das alles doch nur eingebildet? Nein, das konnte nicht sein, denn sie hatte ja das Buch.
Panik stieg in Christina auf. Vielleicht hatte dieser Spuk, den sie eben erlebt hatte, mit ihren schlimmen Träumen zu tun. Musste sie deshalb die Reise nach Schottland unternehmen, um dieser Frau zu begegnen?
Nein, sie wollte nicht mehr drüber nachdenken. Es war alles so verworren, dass ihr Verstand sich einfach weigerte, überhaupt noch etwas zu denken. Deshalb rannte sie, so schnell sie konnte, zum Dorf zurück.
Während des kurzen Heimwegs war die Nacht hereingebrochen. Zum Glück hatte der Gastwirt die Laterne vor seiner Wirtschaft angezündet. So fand Christina den Weg zurück.
Leise schlich sie ins Haus, an der Wirtsstube vorbei, und als sie durch die halbgeöffnete Glastüre blickte sah sie, dass drinnen noch Licht brannte und die Eltern einträchtig an einem Tisch saßen. Da ging sie beruhigt nach oben in ihr Zimmer.
Im flackernden Licht der Kerze auf Ihrem Nachttisch wickelte das Mädchen vorsichtig das Leinentuch von dem Buch. Die Neugierde war sehr groß.
Jetzt war Christina sehr froh, dass sie in der Schule immer gut aufgepasst hat. Sie war die beste im vorlesen, und sie hatte auch kaum Schwierigkeiten damit, verschiedene Handschriften zügig zu entziffern.
Ihre Hände zitterten ein wenig, als sie den Buchdeckel öffnete. Er war aus feinem, inzwischen jedoch schon sehr abgegriffenem Leder, das sich kühl und tot anfühlte. Die ersten beiden Seiten bestanden lediglich aus vergilbten, fleckigen Papier.
Vorsichtig strich Christina mit den Fingerspitzen darüber. Es war ein seltsames Gefühl, das durch ihren Körper strömte, fast so, als sei sie jemand ganz anderes.
Noch war die Erinnerung an die alte Frau ganz frisch, als müsste sie nur die Hand ausstrecken, um sie fühlen zu können. Sogar der Geruch, der in ihrer kleinen Hütte jede Ritze ausfüllte, war noch in ihrem Gedächtnis haften geblieben.
Auf der Innenseite des Buches fand sie die ersten Worte. Sie waren in einer altertümlichen, jedoch sehr fein anmutenden Frauenhandschrift geschrieben. Christina musste sich sehr anstrengen, bis es ihr endlich gelang, mühsam den ersten Satz zu entziffern.
"Heute ist der glücklichste Tag in meinem Leben", las das Mädchen halblaut vor. "Peter ist der wunderbarste Mann, den es gibt. Ich weiß, dass wir miteinander sehr glücklich werden. Aus diesem Grunde schreibe ich dieses Tagebuch. Meine Kinder und Kindeskinder sollen sich später einmal darüber freuen, wie glücklich ich gewesen bin."
Christina konnte damit nicht sehr viel anfangen. Sie ahnte zwar, dass
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