Die weiße Frau von Devils Rock
Eigentlich hätte es eine anheimelnde Atmosphäre sein können, wenn da nicht diese Bilder gewesen wären, die dem ganzen einen unheimlichen Anstrich gaben.
Auch Ashton Darwin fühlte sich sichtlich unbehaglich, obwohl er sich krampfhaft bemühte, es sich nicht anmerken zu lassen. Bei dem Bild an der Treppe, das Laird Andrew darstellte, war auch er einen kurzen Augenblick stehen geblieben, um es anzusehen.
Ein heißer Zorn stieg in ihm auf , der auch nach einigen Minuten noch kaum verraucht war. Sein Herz klopfte schmerzhaft gegen die Rippen. Es kostete ihn eine große Kraftanstrengung, sich nichts anmerken zu lassen.
Die beiden Zimmer, die der Laird seinen Gästen zugewiesen hatte, befanden sich ganz am Ende des Ganges. Sie waren durch eine Türe innerhalb der Räume verbunden, was sowohl für Christina als auch für ihre Eltern angenehmer war. So konnte Charlene gleich bei ihrer Tochter sein, wenn diese wieder ihre Alpträume hatte.
"Wir erwarten Sie in drei Stunden unten zum Abendessen. Ist das in Ordnung?" Laird Ian wandte sich an Dr. Rowland. "Bitte, seien Sie heute ebenfalls unser Gast", sagte er zu dem Arzt. "Sie würden uns damit eine große Freude machen."
Natürlich konnte Marvin nicht ablehnen, das hätte der Laird als persönliche Beleidigung aufgefasst. Dazu kam, dass der Arzt seinen Blick kaum von Ashtons Ehefrau wenden konnte. So etwas war ihm noch nie zuvor passiert. Eine fremde Frau hinterließ bei ihm innerhalb kurzer Zeit so einen nachhaltigen Eindruck, dass er eine unbegreifliche Sehnsucht nach ihrer Nähe sogar körperlich spüren konnte. "Ich werde sehr gern hier sein, Laird Ian", antwortete Marvin höflich und bedankte sich. Dann verabschiedete er sich hastig, weil er noch einen Patientenbesuch zu machen hatte. Doch ein Gedanke ließ ihn nicht mehr los, ein Bild, das sich tief in seinem Innern eingebrannt hatte.
Charlene Darwin, die Frau seines Studienkollegen, der niemals sein Freund gewesen war. Darüber war er zwar erleichtert, doch es änderte nichts an der Tatsache, dass diese Frau für ihn tabu war. Und das tat seinem Herzen mehr weh als er sich eingestehen wollte.
6. Kapitel
Eigentlich hatte Charlene keine so große Lust dazu gehabt, mit Lady Angela McGregor und deren kleiner Tochter Leslie im Park von Rochester Castle spazieren zu gehen. Viel lieber hätte sie sich ihrem Buch gewidmet, das sie bereits zuhause angefangen hatte zu lesen.
"Du kannst ihre Bitte nicht abschlagen, Darling", meinte Ashton, als sie sich ihrem Mann anvertraute. Der Arzt saß an dem schweren, altmodischen Sekretär, der links vom Fenster stand, und widmete sich den verschiedenen Berichten, die er sich regelmäßig von einer Universität schicken ließ. So blieb er stets auf dem neuesten Stand der Forschungen, zumindest versuchte er es. Nur hatte er, wenn er seine Praxisarbeit geleistet hatte, meist nicht mehr die Kraft dazu, all die Informationen zu lesen. Das war hier anders, da hatte er inzwischen mehr Zeit als ihm lieb war.
"Ich werde Christina fragen, ob sie uns begleitet."
Ashton schaute von seiner Tätigkeit auf und lächelte sie an. "Zu spät", schmunzelte er. "Unsere Tochter ist bereits mit dem Sohn des Hauses unterwegs", erklärte er. "Sie wollen den Park inspizieren, das heißt, Benjamin wollte ihr seinen Garten zeigen."
"Den berühmt berüchtigten Seelengarten?", fragte Charlene bedrückt.
"Woher weißt du denn davon?"
"Benjamin hat mir selbst davon erzählt", antwortete die junge Frau überrascht. "Ist das denn so geheimnisvoll, dass ich nichts darüber erfahren darf? Ich dachte, dieser Teil des Parks ist ebenfalls für alle Anwohner zugänglich."
"Marvin hat mir erzählt, dass er sich um Benjamin sorgt, denn das mit dem Seelengarten scheint ein wenig seltsam zu sein. Dieser sogenannte Garten besteht aus lauter kleinen Gräbern, zumindest sehen diese Beete, die der Junge angelegt hat, so aus." Er deutete auf das aufgeschlagene Buch auf dem Tisch. "Ich versuche gerade, mich in die Seele eines Elfjährigen hinein zu lesen."
"Vielleicht solltest du lieber versuchen, dich an dein eigenes Seelenleben in diesem Alter zu erinnern", wandte Charlene freundlich ein. Sie trat hinter ihren Mann und legte ihre Arme um seinen Hals. Dann schmiegte sie ihre Wange an die seine und schloss die Augen.
Wie lange hatte sie so eine Nähe schon nicht mehr erfahren dürfen? Sie wusste es nicht, aber sie spürte, dass seit einiger
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