Die weiße Frau von Devils Rock
man dazu überhaupt die Hand ausstrecken muss." Man konnte ihr anmerken, wie sehr sie ihre Heimat liebte.
"Das hoffe ich sehr. Ashton und ich waren früher eine eingeschworene Gemeinschaft. Wir verstanden uns oft auch ohne Worte, einfach nur, weil wir uns in die Augen schauten. Das ist jetzt alles nicht mehr da. Manchmal habe ich abends sogar Angst, einzuschlafen, weil ich mich vor ihm fürchte. Ich weiß ja nie, wann er wieder so einen Anfall bekommt.“ Sie schluckte, weil sie sonst in Tränen ausgebrochen wäre.
"So schlimm?“, fragte Angela erschrocken. Sie strich ihre langen nachtschwarzen Haare zurück, die wie ein seidener Vorhang über ihre schmalen Schultern fielen. "Glauben Sie denn, Ihre Angst ist berechtigt? Ich meine, wäre Ihr Mann zu einer Gewalttat überhaupt fähig?"
"Das weiß ich eben nicht. Ich dachte, ich kenne meinen Mann, aber inzwischen werden meine Zweifel immer größer. Manchmal schaut er mich an, als würde er durch mich hindurch sehen. Und vorhin machte er mir die heftigsten Vorwürfe, weil ich ihm ständig seine Trunksucht vorwerfen würde."
"Tun Sie das denn?"
"Ashton rührt Alkohol nicht an. Warum also sollte ich das tun", fuhr Charlene verzweifelt auf. "Ich weiß nicht einmal mehr, warum er vorhin so aggressiv war. Es kam einfach aus heiterem Himmel, ohne Auslöser. Deshalb bin ich inzwischen auch am Ende mit meiner Weisheit."
"Sie sollten wirklich mal mit Doktor Rowland darüber reden. Er ist ein sehr guter Arzt, dem ich nur zu gern mein Töchterchen anvertraut habe. Ich habe volles Vertrauen zu ihm. Wenn Sie möchten sage ich ihm, dass Sie ihn sprechen wollen."
"Würden Sie das tun, Angela?", fragte Charlene hoffnungsvoll. "Ich habe das auch schon meinem Mann vorgeschlagen, aber allein bei der Nennung dieses Namens ist er wieder ausgerastet. Er hat behauptet, Doktor Rowland hätte Interesse an mir als Frau. Dabei haben die beiden gemeinsam studiert und waren sogar ein bißchen befreundet. Doktor Rowland ist im Augenblick der einzige Mensch, der vielleicht etwas tun kann. Immerhin kennt er Ashton schon länger als ich. Er müßte es nur geschickt anfangen, um mit ihm ins Gespräch zu kommen, damit Ashton nicht merkt, dass eine Absicht dahinter steckt."
"Sehen Sie, Charlene, es ist doch immer gut, wenn man über seine Probleme reden kann. Ich freue mich, dass wir uns so gut verstehen. Ich werde Doktor Rowland alles erzählen, er weiß bestimmt was zu tun ist. Es war gut, dass wir darüber geredet haben. Vermutlich bin ich dann nächstes Mal dran mit Reden. Ich hatte auch noch nie eine Freundin, der ich meinen Kummer anvertrauen konnte. Lassen Sie uns duzen, das wird uns beiden gut tun."
Charlene ging nur zu gern auf das Angebot ein. Sie spürte, dass sie Angela vertrauen konnte, dass sie eine sehr gute, ehrliche Freundin sein würde.
Als sie zum Castle zurückgingen, fühlte sich Charlene etwas besser. In ihr war ein Funke Hoffnung, der sich mit dem jungen Arzt Dr. Marvin Rowland verband. Jetzt konnte sie sich auch eingestehen, dass Ashtons einstiger Studienkollege gleich bei der ersten Begegnung einen nachhaltigen Eindruck auf sie gemacht hatte.
Freundschaftlich verabschiedete sie sich wenig später in der Halle von Angela. "Ich hoffe, mein Mann hat sich gefasst und ist wieder ansprechbar", flüsterte sie, als hätte sie Angst, er könnte irgendwo hinter einem Möbelstück oder den langen, schweren Vorhängen lauernd und sie belauschen.
"Du kannst immer zu mir kommen, wenn du Hilfe brauchst", sagte Angela noch, dann ging sie eilig in den Salon, wo Ian bereits auf sie wartete.
Das Zimmer war leer. Ashton hatte offensichtlich während ihrer Abwesenheit das Haus verlassen. Der Schreibtisch war ordentlich aufgeräumt. Nichts deutete darauf hin, dass hier vor kurzem noch ein seltsames Gespräch statt gefunden hatte.
Nachdenklich strich Charlene mit der Hand über den Lederbelag der Tischplatte. Vorhin noch hatte Ashton hier gesessen und gelesen. Jetzt war er verschwunden und sie wusste nicht einmal wohin. Wehmut war in ihrem Herzen, denn sie spürte ganz deutlich, dass sie sich immer mehr voneinander entfernten. Sie musste sich gewaltsam von dem Anblick des leeren Schreibtisches losreißen, weil es ihr tief im Herzen sehr wehtat.
Sie wandte sich um und ging durch die Verbindungstür ins Nebenzimmer, das Christina bewohnte. Auch hier war es aufgeräumt, aber nicht so ordentlich wie im Nebenzimmer.
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