Die weiße Frau von Devils Rock
endlich wesentlich besser gegangen war. So war sie beruhigt in ihr Bett gegangen in der Meinung, das Schlimmste sei vorüber. Doch jetzt hatte sie immer wieder das Gefühl, als würde sie jemand an der Schulter fassen und damit versuchen, sie sanft aufzuwecken. Schließlich war sie so wach, dass sie die Augen öffnete. Sie tastete mit der Hand zum Bett neben sich, doch das war leer. Jetzt drehte sie sich zur Seite, um sich zu überzeugen, dass sie sich nicht geirrt hatte.
Sie hatte sich nicht geirrt, Ashton war nicht da, obwohl er am Abend neben ihr eingeschlafen war. Oder hatte sie alles nur geträumt?
"Ashton", rief Charlene und lauschte. Doch es kam keine Antwort. Ashton war nicht im Haus. Verwirrt stand die Frau auf und schlich die Treppe hinauf zu Christinas Zimmer unter dem Dach. Die Unruhe verstärkte sich. Angst stieg in ihr auf. Alles war so seltsam, dass sie es nicht einmal in Worte fassen konnte.
Christina atmete schwer und rasselnd, und sie reagierte auch nicht, als Charlene sie anredete. Entsetzt legte sie ihre kühle Hand auf die Stirne ihrer Tochter. Sie war sehr heiß und feucht. Das Mädchen hatte auf einmal wieder hohes Fieber.
"Ashton, ich muss Ashton wecken", murmelte sie, doch dann fiel ihr ein, dass ihr Mann ja gar nicht da war. Verzweiflung erfasste sie. Was sollte sie tun, wen konnte sie in der Nacht um Hilfe bitten? Christina brauchte einen Arzt, und Ashton war Arzt. Aber er war nicht zuhause.
Marvin! Sie musste Marvin holen, und zwar so rasch wie möglich. Er war der einzige, der jetzt noch helfen konnte. Denn Ashton suchen, dazu war keine Zeit mehr.
Charlene lief nach unten, zog sich hastig an und verließ das Haus. Die Nacht griff mit gierigen Fingern nach ihr, als sie wenige Schritte vom Haus entfernt war. Es war so undurchdringlich dunkel, dass sie kaum den Weg vor sich erkennen konnte. Zum Glück war sie ihn in den vergangenen Tagen schon mehrmals gegangen, sodass sie ihn trotzdem gut finden konnte.
Marvin war ziemlich rasch an der Tür, nachdem sie geklopft hatte. Fürsorglich legte er ihr eine Decke um die Schultern, dann spannte er sofort an und fuhr mit Charlene zurück zu Dragon House. Weshalb nicht Ashton zu ihm gekommen war sondern seine Frau hatte gehen lassen, wagte der Arzt nicht zu fragen. Ein Blick in Charlenes totenblasses Gesicht war ihm Antwort genug.
Als sie in Dragon House angekommen waren, hatte sich an Christinas Zustand nichts verändert. Noch immer atmete sie schwer und hatte die Augen geschlossen. Sofort war Marvin am Bett des Mädchens. Nach kurzer Untersuchung wusste er, was zu tun war. "Es ist dasselbe Fieber, das ich hier schon einige Male behandelt habe. Die Erreger sind im Wasser, deshalb sollte man nicht in irgendwelchen Seen baden, wenn sie nicht untersucht sind.
„Christina ist gestern in den Teich von Rochester Castle gefallen“, sagte Charlene leise. „Ich hatte gleich so eine entsetzliche Angst, als sie nass und frierend vor mir stand. Ich hab sie gleich gewaschen und ins Bett gesteckt. Ich hätte…“ Nun begann sie doch zu weinen und es war ihr sehr unangenehm.
„Noch ist es früh genug, wir haben gute Chancen, es in den Griff zu bekommen", versuchte Marvin, Charlene zu beruhigen. Am liebsten hätte er sie in den Arm genommen und getröstet. Aber das dufte er natürlich nicht, sie gehörte ja zu Ashton.
Er verabreichte dem Mädchen die nötigen Medikamente und gab der Mutter genaue Anweisungen, wie sie mithelfen konnte, das Fieber herunter zu drücken. Sie kämpften schweigend Hand in Hand, und als draußen der Morgen graute, hatten sie das Schlimmste überwunden.
Nach einer langen Nacht des Bangens öffnete Christina zum ersten Mal die Augen, als die ersten Sonnenstrahlen zum Fenster hereinfielen. "Was ist denn los?", fragte sie mit schwacher Stimme. "Herr Doktor? Warum…?"
"Du warst sehr krank, Christina", antwortete Marvin leise und hielt noch immer die Hand des Mädchens in seiner, um ihr mit seiner Nähe ein wenig Kraft zu vermitteln.
Charlene schluckte die aufsteigenden Tränen hinunter. In diesem Moment fühlte sie sich so einsam und allein wie noch nie in ihrem Leben. Neben ihr auf einem Stuhl saß Dr. Marvin Rowland, und seine Nähe war sehr beruhigend für sie. Und doch war da etwas, das sie unendlich belastete, ihr Herz schwer machte. Eigentlich sollte hier Ashton sitzen und gemeinsam mit seiner Frau für die einzige Tochter sorgen. Immerhin war auch
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