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Die weiße Garde

Die weiße Garde

Titel: Die weiße Garde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michail Bulgakow
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Ludwig XIV. verhängte Tür drang. Ludwig lachte, den Arm auf den bebänderten Stock gestützt. Ein Stockknauf schlug gegen die Tür, und Alexej trat ein. Er warf der Schwester einen Seitenblick zu, zuckte wie sie mit dem Mund und fragte:
    »Von Talberg?«
    Jelena schwieg, bedrückt und beschämt. Dann aber faßte sie sich und schob ihm das Blatt zu. »Von Olja, aus Warschau.« Alexej heftete den Blick auf die Zeilen und wandte ihn nicht ab, bis er zu Ende gelesen hatte. Dann las er noch einmal den Anfang.
    »Liebe Lena, ich weiß nicht, ob dieser Brief …«
    Auf seinem Gesicht spielten verschiedene Farben. Es wurde safrangelb, an den Schläfen traten rosa Flecke hervor, die blauen Augen wurden schwarz.
    »Mit Vergnügen würde ich ihm eins in die Fresse hauen«, preßte er durch die Zähne.
    »Wem?« fragte Jelena und schniefte, da sich in der Nase Tränen sammelten.
    »Mir selbst«, antwortete, vor Scham vergehend, Doktor Turbin, »weil ich ihn damals geküßt habe.«
    Jelena brach in Weinen aus.
    »Tu mir einen Gefallen«, fuhr Turbin fort, »wirf das da zum Teufel.« Er zeigte mit dem Stock auf das Bild Talbergs. Jelena reichte es ihm schluchzend. Alexej riß es sofort aus dem Rahmen und zerfetzte es. Jelena heulte nach Frauenart, ihre Schultern bebten, sie drückte ihr Gesicht an seine gestärkte Hemdbrust. Abergläubisch und ängstlich schielte sie zu der braunen Ikone, vor der noch immer das Ewige Lämpchen hinter dem goldenen Gitter brannte.
    Ich habe gebetet, eine Bedingung gestellt, sei mir nicht böse, Mutter Gottes, dachte die abergläubische Jelena. Turbin erschrak.
    »Leise, leise … Die brauchen’s nicht zu hören.«
    Aber im Wohnzimmer hatte niemand etwas gehört. Unter Nikolkas Fingern erbrach das Klavier den verwegenen Marsch »Der Zarenadler«, durch die Wand drang Lachen.

20
    Groß war es und fürchterlich, das eintausendneunhundertachtzehnte Jahr nach Christi Geburt, aber das Jahr 1919 war noch fürchterlicher.
    In der Nacht zum dritten Februar zerrten am Eingang zur Kettenbrücke, die über den Dnepr führt, zwei Burschen einen Mann in zerfetztem schwarzem Mantel, mit blutigem, rot und blau verfärbtem Gesicht durch den Schnee, und der Herr Ataman lief nebenher und schlug mit einem Ladestock auf ihn ein. Bei jedem Schlag zuckte der Kopf, aber der Blutüberströmte schrie nicht mehr, er stöhnte nur. Die wuchtigen Hiebe drangen durch den zerfetzten Mantel, und jedem Hieb folgte ein heiseres »Och!«.
    »Ach, du Jiddenfratze!« schrie der Herr Ataman wütend. »Zu den Holzstapeln mit ihm, dort wird er erschossen! Ich werd dir schon zeigen, dich in dunklen Ecken zu verstecken. Ich werd’s dir schon zeigen! Was hast du hinter den Stapeln gemacht, du Spion?«
    Aber der Blutüberströmte antwortete dem wütenden Herrn Ataman nicht. Da lief der Herr Ataman vor, die Soldaten sprangen zur Seite, um dem hochgeschwungenen Metallstab auszuweichen. Der Herr Ataman hatte den Schlag schlecht berechnet, blitzschnell sauste der Ladestock auf den Kopf nieder. Es knackte, und kein »Och!« kam mehr von dem Mann. Sein Arm bog sich nach hinten, der Kopf zuckte, er brach in die Knie und fiel zur Seite, mit dem anderen Arm weit ausholend, als wollte er möglichst viel von der zertrampelten, kotigen Erde an sich raffen. Die Finger verkrallten sich zu Haken und kratzten über den schmutzigen Schnee. In einer dunklen Blutlache liegend, zuckte der Mann einige Male krampfhaft und wurde dann still.
    Über dem Liegenden zischte die Laterne am Brückeneingang, um ihn herum hasteten aufgescheucht die Schatten der Haidamaken mit den geschwänzten Köpfen, und noch höher war der schwarze Himmel mit den flimmernden Sternen.
    Und in der gleichen Minute, als der Liegende sein Leben aushauchte, explodierte plötzlich in der frostigen Höhe über der Vorstadt Slobodka feuersprühend und mit ohrenbetäubendem Krachen der Stern Mars.
    Gleich darauf setzte in der schwarzen Ferne hinter dem Dnepr, der Ferne, die nach Moskau führt, schwerer und langgedehnter Donner ein. Ein zweiter Stern explodierte, aber etwas tiefer, dicht über den schneebedeckten Dächern.
    Sogleich setzte sich die blaue Haidamakendivision von der Brücke in Bewegung, zog in die STADT, durch die STADT und für immer fort.
    Der blauen Division folgte wie ein Wolfsrudel auf durchfrorenen Pferden die Abteilung Kosyr-Leschkos, eine Feldküche hüpfte vorbei, dann verschwand alles, als wäre es nie dagewesen. Am Eingang zur Brücke blieben nur die erkaltende Leiche

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